Pius XI. unterschrieb vor 75 Jahren Enzyklika "Mit brennender Sorge"

Papst-Appell gegen Nationalsozialismus

Vor seinem Tod 1939 und der Wahl seines Nachfolgers Pius XII. warnte Pius XI. mit seiner Enzyklika "Mit brennender Sorge" vor den Gefahren der Hitler-Diktatur. Die historischen Auswirkungen des Dokumentes sind bis heute, 75 Jahre danach, umstritten.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Propaganda-Minister Joseph Goebbels riet zum "Totstellen und Ignorieren". Zwar hatte die Gestapo im März 1937 noch kurz vor der Veröffentlichung Wind von der Enzyklika des Papstes "Mit brennender Sorge" bekommen. Und auch Goebbels hielt das päpstliche Schreiben für eine gegen Deutschland gerichtete Provokation und eine Kampfansage. Doch der Minister war gegen einen Gestapo-Einsatz in letzter Minute. Statt spektakulärer Verhaftungen plädierte er für Bestrafungsaktionen im Nachhinein.



Die von Papst Pius XI. mit dem Datum vom 14. März 1937 unterzeichnete Enzyklika konnte deshalb am Palmsonntag, dem 21.

März, in fast allen 11.500 Pfarreien des Reiches verlesen und unter der Hand in hoher Auflage verteilt werden. Reinhard Heydrich, Chef des Geheimen Staatspolizeiamtes, beauftragte die Gestapo lediglich, die Verlesung der "hochverräterischen Angriffe" zu überwachen und alle außerhalb der Kirche greifbaren Exemplare zu beschlagnahmen.



Kritik an der antichristlichen Kampagne des NS-Regimes

"Mit brennender Sorge und steigendem Befremden beobachten Wir seit geraumer Zeit den Leidensweg der Kirche, die wachsende Bedrängnis der ihr in Gesinnung und Tat treubleibenden Bekenner und Bekennerinnen..." So begann vor 75 Jahren der damals bereits 80-jährige, kränkelnde Papst Pius XI. seine harsche Kritik an der antichristlichen Kampagne des NS-Regimes. In Deutschland sei ein "Vernichtungskampf" gegen die Kirche im Gange.



Mit Verboten von Jugend- und Berufsverbänden, Einschränkungen für das Schul- und Ordenswesen und Anklagen wegen Devisen- und Sittlichkeitsvergehen gegen Ordensleute waren die Nazis seit 1935 gegen die Kirche vorgegangen. Jetzt wurde auch Pius XI., der 1933 mit dem Reichskonkordat einen Besänftigungskurs gegenüber den Nazis verfolgt hatte, deutlich: Er warnte davor, mit Begriffen wie "Volk", "Rasse" oder "Staat" einen "Götzenkult" zu betreiben. Ebenso verurteilte er die "Irrlehre von einem nationalen Gott". Wenige Wochen später wurden mehr als zehn Druckereien, die die Enzyklika unter Geheimhaltung gedruckt hatten, enteignet. Das Regime nahm seine Kampagne gegen die Kirche sowie die Schauprozesse gegen Ordensleute demonstrativ wieder auf.



Für den Papst bedeutete die Enzyklika einen Balance-Akt: Zur Vorbereitung hatte er neben den drei Kardinälen Adolf Bertram von Breslau, Michael Faulhaber von München und Karl Joseph Schulte von Köln auch die Bischöfe Clemens August Graf von Galen aus Münster und Konrad Graf von Preysing aus Berlin in den Vatikan bestellt. Beide galten als Befürworter öffentlicher Proteste gegen die Nazis, während vor allem Kardinal Bertram an seiner Politik der nicht-öffentlichen Eingaben bei Hitler festhielt. Balance halten wollte Pius auch zur zweiten totalitären Macht: Stalins Russland. Bereits am 19. März veröffentlichte er deshalb die Enzyklika "Divini Redemptoris", in der die Kirche Materialismus und Marxismus verurteilte.



Deutliche Lücken

"Mit brennender Sorge" löste im In- und Ausland großes Aufsehen aus. Den Kurs des NS-Regimes änderte sie jedoch nicht. Trotz der klaren Sprache gegen die NS-Ideologie weist das Hirtenwort des 1939 gestorbenen Papstes aus heutiger Sicht deutliche Lücken auf: Zwar bekundete er den Priestern und Ordensleuten im KZ sein Mitgefühl; das System der Lager wird jedoch nicht angeprangert. Zwar würdigte der Papst die Schriften des Alten Testamentes. Doch für das verfolgte Judentum fand er ebenso wenig Worte wie für Christen anderer Konfessionen oder für politisch Verfolgte.



Die Enzyklika muss deshalb - angesichts eines drohenden Kirchenkampfes - in erster Linie als Verteidigung der eigenen Institution und der eigenen religiösen Überzeugungen gewertet werden. Das räumten mehr als 50 Jahre später auch die Bischöfe Deutschlands und Österreichs zum 50. Jahrestag der Novemberpogrome von 1938 ein. Es bedrücke sie, dass "das Eintreten für die elementaren Rechte aller Menschen" unterblieb. Man möge aber bedenken, dass die "Bereitschaft, über die Belange der eigenen Kirche hinaus auch für die Menschenrechte anderer einzutreten", erst in "harter Auseinandersetzung" mit dem NS-Regime gewachsen sei.