Caritasreferent zu Bildungsstudie und Förderung von Jugendlichen

Nachholbedarf bei Chancengerechtigkeit

Fehlende Vorbilder, fehlende Sprachkenntnisse - ausbleibender Bildungserfolg ist in Deutschland nicht nur ein Problem von Migrantenkindern, das belegt erneut eine Studie der Bertelsmannstiftung. Im domradio.de-Interview spricht Caritas-Referent Kastriot Gjoni über eine mangelnde Förderung.

 (DR)

"Die Probleme werden immer massiver", sagte Gjoni am Montag gegenüber domradio.de. Ausbildungsbetriebe könnte Schwächen nicht auffangen. Das Schulsystem bedürfe Änderungen. Auf das individuelle Potenzial und die Probleme von Kindern und Jugendlichen müsse stärker eingegangen werden. Gjoni betreut das Caritas-Projekt Gemini, das den Einstieg von Migranten in die Arbeitswelt verbessern will. Mentoren könnten benachteiligten Jugendlichen helfen und zum Beispiel beim Schreiben von Bewerbungen oder im Schulalltag zur Seite stehen, meint Gjoni.



Neue Studie: Chancenspiegel

Die Chancen von Schülern, soziale Nachteile zu überwinden und ihr Leistungspotenzial auszuschöpfen, unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland deutlich. Das zeigt der am Montag in Gütersloh veröffentlichte "Chancenspiegel", mit dem die Bertelsmann Stiftung und das Institut für Schulentwicklungsforschung (IFS) an der Technischen Universität Dortmund die Schulsysteme aller Bundesländer auf Chancengerechtigkeit untersucht haben.



Ergebnis: Kein Land ist überall spitze, kein Land überall Schlusslicht - aber die Unterschiede zwischen den Ländern sind erheblich.



Bewertet wurden Gerechtigkeit und Leistungsfähigkeit der Schulsysteme in vier Dimensionen: Integrationskraft, Durchlässigkeit, Kompetenzförderung und Vergabe von Schulabschlüssen (Zertifikatsvergabe). "Die Bundesländer müssen deutlich mehr voneinander lernen", zog das Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung, Jörg Dräger, Bilanz. IFS-Direktor Wilfried Bos betonte, dass ausnahmslos alle Bundesländer Entwicklungsbedarf hätten. Wünschenswert sei eine bessere und transparentere Datenlage, um die Vergleichbarkeit zu stärken.



Studie: Ganztagsschulen steigern die Bildungschancen

Laut Studie ist etwa in Sachsen-Anhalt der Anteil der Kinder, die auf einer separaten Förderschule unterrichtet werden und keinen Zugang zur Regelschule haben, nahezu drei Mal höher als in Schleswig-Holstein. Und in Sachsen besuchten drei von vier Schülern eine Ganztagsschule, in Bayern nicht einmal jeder zehnte. "Hier bestehen Gerechtigkeitslücken, denn sowohl die Ganztagsschule als auch der Besuch einer Regel- statt einer Förderschule steigern die Bildungschancen", sagte Dräger.



Ein regionales Gefälle zeigt sich auch im Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Lesekompetenz: In Bremen ist die Lesefähigkeit sozial schwacher Schüler deutlich schlechter als in Brandenburg.



Eine Zugangsberechtigung zur Hochschule erreichen in Nordrhein-Westfalen, Hamburg, im Saarland und in Baden-Württemberg jeweils mehr als die Hälfte der Schüler, in Mecklenburg-Vorpommern nicht einmal 36 Prozent.



Laut Studie erzielt das Saarland gute Ergebnisse in den Dimensionen Durchlässigkeit und Zertifikatsvergabe - und liegt auch in der Integrationskraft und der Kompetenzförderung im bundesdeutschen Mittelfeld. Hamburg weist im Bundeslandvergleich sehr gute Resultate in den Dimensionen Durchlässigkeit und Zertifikatsvergabe aus, bietet seinen Schülern allerdings in der Kompetenzförderung nur schlechte Chancen. Auch Sachsen schafft in Sachen Durchlässigkeit und Kompetenzförderung den Sprung unter die erfolgreichsten 25 Prozent der deutschen Länder, hat allerdings zugleich insbesondere in der Zertifikatsausschöpfung Entwicklungspotenzial. Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz und Thüringen sind Länder, die mindestens einmal in der Spitzengruppe vertreten sind und bei keiner Dimension einen Platz in der unteren Ländergruppe belegen.



In Sachsen ist das Schulsystem vergleichsweise durchlässig

Kein Bundesland befindet sich in allen vier Dimensionen in der unteren Ländergruppe. Sachsen-Anhalt liegt zwar in den Bereichen Integrationskraft, Durchlässigkeit und Zertifikatsvergabe jeweils in der unteren Gruppe, schafft im Bereich der Kompetenzförderung allerdings gleichzeitig eine Platzierung unter den besten 25 Prozent. Berlin (Kompetenzförderung, Zertifikatsvergabe), Brandenburg (Integrationskraft und Kompetenzförderung) sowie Mecklenburg-Vorpommern (Integrationskraft und Zertifikatsvergabe) verzeichnen jeweils zweimal einen Platz in der unteren Ländergruppe.



Der Chancenspiegel zeigt nach Darstellung der Stiftung auch, dass Schulsysteme fair und leistungsstark zugleich sein können. In Sachsen etwa sei das Schulsystem vergleichsweise durchlässig: Die Chancen für Kinder aus unteren Sozialschichten auf einen Gymnasialbesuch seien relativ gut, nur wenige Schüler blieben sitzen. Sachsen überzeuge aber auch bei der Kompetenzförderung.

Sowohl die leistungsstärksten als auch die leistungsschwächsten Schüler gehören deutschlandweit zu den Besten ihrer jeweiligen Vergleichsgruppe.