Moraltheologe kritisiert Zapfenstreich-Boykott

Ehre, wem Ehre gebührt

Dem zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff schlagen zum offiziellen Abschied Anerkennung und Schelte entgegen. Mehr als 160 geladene Prominente hatten ihre Teilnahme an dem Zapfenstreich abgesagt. Der Moraltheologe Prof. Peter Schallenberg kritisiert gegenüber domradio.de dieses Verhalten als kleinkariert, fordert aber für die Zukunft eine unabhängige Stelle, die zu entscheiden habe, wer die Ehre eines Zapfenstreiches verdient.

 (DR)

Während der Moraltheologe Schallenberg einen Verzicht Wulffs sowohl auf den Ehrensold als auch auf den Zapfenstreich für angemessen gehalten hätte, hält er einen Boykott des höchsten militärischen Zeremoniells der Bundeswehr für kleingeistig. Es gehe hier nicht um die Privatperson, sondern um das Amt, so Schallenberg. Insofern gehöre der Zapfenstreich dazu. Dies sei nicht "irgendeine im Zwielicht angesiedelte Veranstaltung". Die geladenen Persönlichkeiten sollten mit "freundlicher, höflicher Miene daran teilnehmen und sich ihren Teil dabei denken". Die Unschuldsvermutung gelte auch weiterhin für Christian Wulff.



Abgesehen davon fordert der Theologe aber künftig einen Kriterienkatalog und eine unabhängige Stelle, die nicht beim Bundespräsidialamt angesiedelt sein solle, die zu entscheiden habe, wer die Ehre eines Zapfenstreichs und auch des Ehrensolds verdient und wer nicht. Das müsse aber im Vorfeld geregelt werden. Den Musikwunsch Wulffs nach dem Kirchenlied "Da berühren sich Himmel und Erde" beurteilt Schallenberg positiv: Wulff möchte damit möglicherweise signalisieren, "dass es mehr gibt als Irrtum und Schwäche, und dass er Verzeihung und Nachsicht erwartet."



Zum Großen Zapfenstreich im Garten des Amtssitzes Schloss Bellevue werden 200 Gäste erwartet, darunter auch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Teilnahme der Kanzlerin sei eine "Selbstverständlichkeit", sagte am Mittwoch Regierungssprecher Steffen Seibert. "Darin drückt sich der Respekt vor dem höchsten Amt aus, dass unser demokratischer Staat zu vergeben hat."



Absagen en masse

Mehr als 160 Gäste haben ihre Teilnahme am Zapfenstreich abgesagt. Unter ihnen sind der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Andreas Voßkuhle, und sein Vizepräsident Ferdinand Kirchhof. Die Partei- und Fraktionschefs im Bundestag wurden nach Angaben des Bundespräsidialamtes nicht eingeladen, wohl aber die Spitzen der Verfassungsorgane und das Bundestagspräsidium mit Bundestagspräsident Norbert Lammert. Schon früher war bekanntgeworden, dass Wulffs Vorgänger Walter Scheel, Roman Herzog, Richard von Weizsäcker und Horst Köhler nicht anwesend sein werden.



Auch die Vertreter der beiden Kirchen im politischen Berlin, der Leiter des katholischen Büros, Prälat Karl Jüsten und sein evangelischer Amtsbruder, Prälat Bernhard Felmberg, werden nicht am Zapfenstreich teilnehmen. Wie Jüsten am Donnerstag auf Anfrage mitteilte, bedauere er dies ausdrücklich. Er wie Felmberg könnten wegen einer seit langem anberaumten Verpflichtung im Bundestag leider nicht an der Abschiedszeremonie am Abend im Garten von Schloss Bellevue teilnehmen.



Die Kirche habe durch Wulff "viel Wertschätzung erfahren", sagte Jüsten. Unvergesslich bleibe sein großes Engagement beim Besuch von Papst Benedikt XVI. in Deutschland im Herbst vergangenen Jahres. "Trotz der Schatten, die auf seiner Amtszeit liegen, wird dies stets in guter Erinnerung bleiben", betonte der Prälat.



Als Doyen des Diplomatischen Corps wird der Apostolische Nuntius in Berlin, Erzbischof Jean-Claude Perisset, an der Verabschiedung Wulffs teilnehmen. Mit auf der Gästeliste ist auch die Osnabrücker Ordensschwester von den Thuiner Franziskanerinnen und Schulleiterin Eva-Maria Siemer.



Von muslimischer Seite nehmen Bekir Alboga von der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB) und Kenan Kolat, Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, teil. Kolat sagte im RBB-Sender Radio Eins, Wulff habe zur kulturellen Vielfalt in Deutschland mehr beigetragen als viele andere Politiker. Dafür wolle er ihm mit der Teilnahme am Zapfenstreich Ehre erweisen und ihm im Namen aller Türken in Deutschland danken. Nicht teilnehmen wird der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann. Die Einladung sei sehr kurzfristig gekommen und Graumann sei aus terminlichen Gründen leider verhindert, teilte der Zentralrat auf Anfrage mit.



Überarbeitung der bisherigen Regelung des Ehrensolds

In der Debatte um Wulffs Pensionsansprüche fordert Bundestagspräsident Lammert eine Überarbeitung der bisherigen Regelung des Ehrensolds. Anzustreben sei "ein überzeugender Zusammenhang zwischen Amtszeit, Lebensalter und Versorgungsanspruch", sagte der CDU-Politiker der Wochenzeitung "Die Zeit". Der Gesetzgeber habe sich nicht vorstellen können, dass ein Staatsoberhaupt in so jungen Jahren und schon nach kurzer Amtszeit ausscheidet.



Der Große Zapfenstreich ist das höchste militärische Zeremoniell der Bundeswehr. Traditionell werden damit Bundespräsidenten, Bundeskanzler und Verteidigungsminister und militärische Spitzen verabschiedet.



Offizieller Gastgeber des Zeremoniells ist Bundesratspräsident Horst Seehofer als amtierendes Staatsoberhaupt. Wulff hat sich vom Musikkorps der Bundeswehr zum Abschied vier Lieder gewünscht. Dabei handelt es sich um "Over the Rainbow" von Harold Arlen, eine Serenade aus dem "Alexandermarsch" von Andreas Leonhardt, die "Ode An die Freude" von Ludwig van Beethoven sowie "Da berühren sich Himmel und Erde" von Christoph Lehmann. Das populäre Werk aus dem Jahr 1989 zählt zum Neuen Geistlichen Liedgut der Kirche und wurde von dem katholischen Theologen Thomas Laubach getextet. In dem häufig zu Hochzeiten verwendeten Lied heißt es beziehungsreich: "Wo Menschen sich vergessen, die Wege verlassen und neu beginnen, ganz neu."