Theologe Ebertz fordert einen Aufbruch in der Kirche

Pastoralpartisanen gesucht

Krise, Aufbruch, Reformen, Memorandum, Gegenmemorandum: Bewegung ist auf jeden Fall in der deutschen Kirche. Der Freiburger Soziologe und Theologe Prof. Michael Ebertz fordert nun ein neues Kommunikationpastoral, um die Kirche fit für die Zukunft zu machen: "Kirche muss neu gegründet werden", sagt er im domradio.de-Interview. Hören Sie hier auch seinen Vortrag im Kölner Domforum vom Vorabend.

 (DR)

domradio.de: In gesellschaftlicher und politischer Hinsicht hat die Kirche ja in der gegenwärtigen Zeit nicht die populärste Stellung. Wie kommt das?

Prof. Ebertz: Das hängt damit zusammen, dass natürlich schon seit Jahren und Jahrzehnten verschiedene Krisen oder Krisendimensionen beobachtbar sind. Ich nenne nur einige Stichworte: Personalkrise, Priestermangel, aber auch Tradierungskrise. Der Glaube kann immer weniger  in die nächste Generation weitergegeben werden. Und seit 2010 gibt es in Deutschland natürlich eine schwere Status- und Vertrauenskrise.  



domradio.de: Das war der Missbrauchsskandal.

Prof. Ebertz: Die Kirche, die häufig so tat, als würde sie eine höhere, bessere Moral vertreten, die über der gesellschaftlichen Moral steht, musste nun im Grunde vor ein gesellschaftliches Tribunal treten und wurde deklassiert. Die gesellschaftliche Moral hat über die kirchliche Moral gesiegt sozusagen. Und von daher haben wir eine schwere Status-Erschütterung . Eine Erschütterung der  Positionierung der Kirche in der Gesellschaft.



domradio.de: Würden Sie denn sagen, die Kirche ist besser als ihr Ruf oder ist sie genau das, was sie im Moment wieder gibt?

Prof. Ebertz: Die Kirche ist ganz sicher besser als ihr  Ruf und es ist ja häufig so, dass medial Einzelereignisse, auch Skandale, so verbreitet werden, als stünden sie das für das Ganze. Im Großen und Ganzen muss  man eben auch sehen: Es sind nicht nur 181.000 Menschen 2010 aus der katholischen Kirche ausgetreten, sondern es sind auch etwa 23 Millionen geblieben. Dieser Tatbestand wird häufig übersehen.



domradio.de: Gerne wird die Kirchenleitung kritisiert. Was aber kann denn der einzelne Katholik tun, damit die Kirche wieder ein bisschen hoffnungsvoller wird? Wie wird es der Kirche wieder besser gehen?

Prof. Ebertz: Der Einzelne kann natürlich einiges tun, um sein Christsein zu leben, aber er kann schwer etwas dazu beitragen, dass die Kirche sich insgesamt als Institution verändert. Da muss schon das Management ran. Da darf die Kirchenleitung nicht auf den Einzelnen verweisen. Der Papst hat das getan in seiner Freiburger Rede, dass er gesagt hat, die Einzelnen müssen sich ändern. Nein, nein, die Kirche muss sich ändern. Die Institution muss sich ändern. Da gibt es einen riesigen Problemstau. Da müssen wirklich mutige, kreative Entscheidungen getroffen werden.



domradio.de: Welche Ratschläge haben Sie an das Management?

Prof. Ebertz: Zum einen muss man sehen, dass sehr viele Menschen immer noch religiös sin, sich das Religiöse aber verschoben hat. Es ist nicht mehr im Alltag so ohne weiteres präsent, sondern zeigt sich in der Außeralltäglichkeit. Also dann, wenn etwa Beziehungen zerbrechen, wenn eine schwere Krankheit droht. Deswegen muss man überlegen: Wo sind die Menschen eigentlich heute noch religiös ansprechbar? Das heißt mit anderen Worten, die pastorale, kirchliche Praxis darf sich nicht einfach so durch das Kirchenjahr bewegen, sondern sie muss schauen, wo es wieder Anschlussmöglichkeiten bei den Menschen von heute gibt. Und da gibt es eine ganze Menge: Freude und Hoffnung, Trauer und Angst - Das sind die Anknüpfungspunkte. Und darauf muss sich die Pastoral hin orientieren. Wir brauchen also so etwas wie mobile Einsatztrupps. Pastoralpartisanen sozusagen, die dort hingehen, wo die Menschen sind.



domradio.de: Missionare.

Prof. Ebertz: Ja, Missionare. Aber aktive. Nicht Missionare, die warten, sondern die gehen und die hören, die lernen, die zuhören, wo der Schuh drückt, wo die Menschen ihre Sorgen und Anliegen haben. Und das wird immer schwieriger bei den momentanen pastoralen Strukturen. Da haben wir einen Pfarrer für eine große Fläche. Der trudelt von einem Eck zum anderen und sieht die Menschen und deren Sorgen gar nicht mehr. Da muss eine totale Umsteuerung passieren. Kirche muss, wenn Sie so wollen, neu gegründet werden in einer völlig neuen Situation. Das ist eine Managementaufgabe, das kann der Einzelne nicht.



domradio.de: Sie sprechen in dem Zusammenhang gerne von Kommunikationspastoral.

Prof. Ebertz: Es kann nicht darum gehen, pastorale, kirchliche Strukturen zu erhalten nach dem Motto: Wie können wir mehr Leute in den Gottesdienst und wie können wir wieder mehr Leute in unsere Gemeinde binden. Sondern wir brauchen ein ganz anderes Vorzeichen. Das heißt: Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute. Also das ist das oberste Prinzip. Und dann muss man die Frage stellen: Welche Strukturen, welche Gelegenheiten, welche Bedingungen sind günstig, welche Mittel sind günstig, um dem Ziel  zu dienen, dass wieder mehr  Menschen sich einklinken in die Kommunikation der frohen Botschaft. Das ist eine ganz andere  Fragestellung. Und wenn ich die habe als oberstes Prinzip, dann komm ich unter Umständen zu dem Schluss, dass die bisherigen  Formen der Kommunikation der frohen Botschaft möglicherweise mangelhaft sind. Oder dass die bisherigen zwar gut waren in der Vergangenheit, aber nicht  mehr zukunftsfähig sind. Mir geht es mit dem Stichwort Kommunikationspastoral um ein Umsteuern gewissermaßen, einem Umgewichten dessen, was die Kirche heute und morgen tun kann.



Das Interview führte Tobias Fricke.