Jahresbericht zur Religionsfreiheit des UN-Sonderberichterstatters

Liste des Schreckens

Am Dienstag diskutiert der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen den Jahresbericht zur Religionsfreiheit von Heiner Bielefeldt. Über diese "Liste des Schreckens" spricht der UN-Sonderberichterstatter schon vorher im domradio.de-Interview.

 (DR)

domradio.de: Warum werden in so vielen Ländern religiöse Minderheiten nach wie vor so unterdrückt?

Bielefeldt: Die Ursachen sind durchaus unterschiedlich. Zum Teil ist es so, dass auch in der Bevölkerung eine negative Stimmung besteht. Die kann sich sogar in richtigen Hassakten entladen, dafür gibt es dramatische Beispiele in vielen Ländern der Welt. Wenn man etwa auf Pakistan, die terroristischen Anschläge in Nigeria oder die gewaltsamen Übergriffe auf Kopten in Ägypten schaut. Wir haben zum Teil negative Stimmungen in den Bevölkerungen. Aber manchmal ist es auch das Interesse von Staaten, von eigenem Versagen abzulenken und Aggressionen umzuleiten, entweder auf das Ausland oder interne Minderheiten. Das ist ein leider immer wieder anzutreffendes Muster in der ganzen Welt, das Regierungen bemühen, um Ressentiments auf Kanäle zu leiten, die ihnen selber weniger gefährlich sind.



domradio.de: Was bedeutet das für die Menschen?

Bielefeldt: Diskriminierungen können zum Beispiel darin bestehen, dass bestimmte religiöse Gruppen, Minderheiten sich jedes Jahr neu registrieren lassen müssen; die müssen also immer wieder bürokratische Verfahren durchlaufen. Ohne Registrierung gelten ihre Aktivitäten zum Teil als illegal. In vielen Staaten ist es so, dass es nur ein bestimmtes Set von erlaubten religiösen Optionen gibt. Da kann man entweder Jude, Christ oder Moslem sein - für Zeugen Jehovas und andere ist überhaupt kein Platz vorgesehen. Dann ist die Schulsituation ein wichtiger Punkt: Es gibt Länder wie Saudi-Arabien, wo auch innerislamische Minderheiten erleben, dass ihnen in der Schule ein Kurrikulum aufgedrückt wird, wonach sie eine ganz bestimmte Interpretation des sunnitischen Islam lernen und als Voraussetzung auch der Schulabschlüsse entsprechende Kurse belegen müssen. Auch in der Türkei hat der Europäische Gerichtshof vor einigen Jahren festgestellt, dass etwa die Aleviten einem sunnitischen Religionsunterricht de facto unterworfen sind und kaum die Möglichkeit haben, sich abzumelden. Es gibt also eine ganze Menge administrative Schikanen im Bildungssystem und gesellschaftliche, wie die Verfolgung von Konvertiten: noch mal ein sehr spezielles Problem; in vielen Ländern der Welt ist Konversion vom Islam gar nicht vorgesehen, Abfall vom Glauben kann administrativ schikaniert werden, aber in einigen Ländern sogar strafrechtlich. Wir haben im Moment im Iran den Fall eines evangelischen Pastors, der zum Tode verurteilt worden ist. Man könnte die Liste des Schreckens noch fortsetzen. Es gibt ganz unterschiedliche Muster. Und man muss immer auch die landesspezifischen Besonderheiten vor Augen haben.



domradio.de: Vor einem Jahr begann der sogenannte Arabische Frühling. In vielen der Länder sind islamistische Kräfte erstarkt - hat der Arabische Frühling der Religionsfreiheit weltweit gesehen bisher genutzt oder eher geschadet?

Bielefeldt: Das kann man jetzt noch nicht sagen. Sicher ist: Es ist ganz viel Ernüchterung eingetreten. Die Hoffnungen junger Menschen, die vor einem Jahr in Ägypten noch sehr hochgeschraubt waren, dass sich auch für Minderheiten neue Möglichkeiten auftun würden, sind zu einem großen Teil mittlerweile zurückgegangen. Es ist in Teilen der Bevölkerung regelrecht Verbitterung eingetreten. Diejenigen, die damals auf die Straße gegangen sind, fühlen sich um die Früchte der Revolution betrogen. Wenn man sich erinnert: Genau vor einem Jahr gab es zum Teil auch bewegende Bilder von Kopten und Muslimen, die gemeinsam auf dem Tahrir-Platz demonstriert und sich sogar zum Teil gegenseitig den Rücken freigehalten haben. Das sollte man nicht vergessen: dieses Potential der Zusammenarbeit, das es gibt. Das sind auch wichtige historische Erfahrungen. Wenn es auch als Ergebnis der jüngsten Wahlen eher zu befürchten ist, dass es eine harsche Religionspolitik geben wird, die die Dominanz des Islam weiter stärken wird. Viele Hoffnungen sind geplatzt, aber das Potential der Gesellschaft sollte nicht vergessen werden.



domradio.de: Sie als UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit oder Glaubensfreiheit arbeitet im Auftrag des UN-Menschenrechtsrates. Nach der Vorstellung ihre Berichtes - wie können nun konkrete Verbesserungen erreicht werden?

Bielefeldt: Ich arbeite im Auftrag des Menschenrechtrats, aber unabhängig, werde auch nicht von UNO bezahlt. Das ist der Charme einer solchen Position. So ein Jahresbericht ist die Gelegenheit, erst mal ein weites Panorama aufzuzeigen. Ich habe zweimal im Jahr - im Menschenrechtsrat und in der Generalversammlung - die Möglichkeit, Dinge vorzutragen und darauf hinzuweisen, was alles noch zu leisten ist; auch Klarstellungen vorzunehmen, weil es manchmal Tendenzen gibt, die Religionsfreiheit zugunsten einer kaum mehr greifbaren Toleranz-Rhetorik aufzuweichen.



domradio.de: Was ist zu tun?

Bielefeldt: Einige Länder habe ich mir speziell angeschaut. Das waren im vergangenen Jahr Paraguay und Moldawien, da sind intensive Missionen durchgeführt worden. Hier münden die Berichte dann in einer Liste sehr konkreter Empfehlungen. Ansonsten weise ich die Staaten darauf hin, dass gerade solche administrativen Registrationsverfahren im Dienste der Religionsfreiheit durchgeführt werden können; die dürfen kein Kontrollinstrument der Staaten werden, sondern die Religionsfreiheit hat den Status eines Menschenrechts, Staaten stehen da in der Pflicht. Und sie sollen deshalb auf unnötige Bürokratie verzichten.



Das Gespräch führte Mathias Peter.



Hintergrund: Der UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit oder Glaubensfreiheit arbeitet im Auftrag des UN-Menschenrechtsrates. Das Amt wurde 1986 geschaffen, der katholische Theologe Heiner Bielefeldt übernahm die Position 2010. Seit 1986 verschickten die bisherigen vier Sonderberichterstatter 1.250 Protestbriefe an Regierungen in 130 Ländern. Sie setzten sich für Menschen ein, die in ihrer Religionsausübung behindert oder wegen ihres Glaubens diskriminiert wurden.