Das heute enge Verhältnis von Regierung und Kirche in Moskau hat auch historische Wurzeln

Kyrill I. und Präsident Putin, die Zweite

In Russland sind am Wochenende Zehntausende auf die Straßen gegangen. Sie demonstrieren gegen Wladimir Putin. Unterstützt wird der künftige Wieder-Präsident von der Kirche. Prälat Nikolaus Wyrwoll über die Rolle des Patriarchen Kyrill I. in der russischen Politik im domradio.de-Interview.

Autor/in:
Michael Borgers
 (DR)

"Bisher waren es die Russen gewohnt, dass die Politik Einfluss auf die Kirche hat", sagte am Montag (27.02.2012) der Direktor im ostkirchlichen Institut mit Bezug auf die Jahre vor 1989, "in denen sich der Staat auch für die Religion verantwortlich fühlte". Jetzt nehme auch die Kirche Einfluss, indem sie auch ihre Leute aufruft.



Mitte Februar, gut drei Wochen vor der Präsidentenwahl, traf Kyrill I. Wladimir Putin. Von allen Kandidaten habe der bisherige Ministerpräsident "sicherlich die größten Chancen", Staatsoberhaupt zu werden, sagte das Kirchenoberhaupt bei dieser Begegnung. Zudem dankte Kyrill I. Putin dafür, dass dieser das Land aus den Krisen der 90er Jahren herausgeführt habe.



Prälat Nikolaus Wyrwoll erinnert Kyrills Positionierung an die Wahlaufrufe der Bischöfe in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Theologe rechnet damit, dass einige Christen auf den Patriarchen hören werden, "zumal sich sowohl der Patriarch selber und auch Putin sehr stark für die Christen im Nahen Osten einsetzen".



Proteste gegen den Staat sind erlaubt

Vor den Protesten an diesem Wochenende hatte Kyrill I. Gläubige aufgefordert, sich nicht an Demonstrationen gegen die Regierung zu beteiligen. Orthodoxe demonstrierten nicht lautstark, sondern beteten still in Klöstern.



Diesen Appell deutet Wyrwoll so, dass der Moskauer Patriarch Proteste in diesem Fall schlicht für wenig lohnend hält. Grundsätzlich habe die russisch-orthodoxe Kirche im Jahr 2000 in ihrer Erklärung über die Menschenrechte und die sozialen Belange gesagt, "dass die Gläubigen auch gegen den Staat demonstrieren müssen, wenn der Staat etwas sagt, was mit den christlichen Traditionen nicht vereinbar ist".



Vermögen mit Zigarettenhandel

In der vergangenen Woche wurde bekannt, dass der Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche Anfang der 90er Jahre viel Geld im Zigarettenhandel verdient haben soll. Als Vorsitzender der Abteilung für Außenbeziehungen der russisch-orthodoxen Kirche soll der damalige Metropolit von Smolensk und Kiew ab 1993 Geschäfte mit Zigaretten gemacht haben, die aus dem Ausland importiert und als "humanitäre Hilfe" steuerfrei weiterverkauft worden sein sollen. Laut der oppositionellen Zeitung "Nowaja Gaseta" soll er zudem Öl und mit Meeresfrüchten gehandelt haben sowie in Bankgeschäfte involviert gewesen sein.



Zum Zeitpunkt seines Amtsantritts als Nachfolger von Patriarch Alexij soll sich Kyrills Vermögen auf vier Milliarden US-Dollar belaufen haben. Heute besitzt er nach Angaben der russischen Zeitung "The New Times" ein eigenes Flugzeug, eine Villa in der Schweiz, eine Luxusdatscha bei Moskau und eine Dachwohnung in der russischen Hauptstadt. Die Zeitung beruft sich auf Untersuchungen eines Historikers, der sich seit Jahren mit den "Tabakgeschäften" des Patriarchen befasst.



Zur Person:

Schon seit 1986 ist Prälat Nikolaus Wyrwoll Bischöflicher Beauftragter in seinem Heimatbistum Hildesheim für die Kontakte mit den Kirchen des Ostens, seit 2007 regulär Ökumene-Beauftragter des Bistums. Seit 2007 ist er auch Mitglied der Gemeinsamen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz und der Orthodoxen Kirchen in Deutschland sowie seit 2008 der Ökumene-Kommission im Bistum Regensburg und der katholischen Bistümer in Bayern.