Weihbischof Losinger zum Umgang mit Intersexuellen

Das "dritte" Geschlecht

Der Deutsche Ethikrat hat den Umgang mit intersexuellen Menschen in der Vergangenheit verurteilt und Entschädigungen für die Folgen von Operationen empfohlen. Der Augsburger Weihbischof Dr. Anton Losinger ist Mitglied des Ethikrates und erläutert im domradio.de-Interview die Hintergründe der Entscheidung.

 (DR)

domradio.de: Intersexuelle Menschen werden so geboren. Das heißt, dieser Leib wird ihnen gegeben. Ist dieses "dritte Geschlecht" dann nach der christlichen Schöpfungslehre ebenso natürlich wie Mann und Frau?

Weihbischof Losinger: Nun es ist völlig logisch und sowohl in der Theologie wie auch in der Kulturgeschichte der Menschheit klar, dass es nur zwei Geschlechter im klassischen Sinne gibt. Aber wir müssen feststellen - und das ist für viele Menschen in unserem Land auch neu -, dass eine geringe Zahl von Menschen existiert, bei denen mit allen Mitteln der Naturwissenschaft, der Medizin, auch der genetischen Analyse nicht gesagt werden kann, ob ein solcher Mensch männlich oder weiblich ist. Es sind Menschen von unterschiedlicher Struktur. Die Wissenschaft nennt sie DSD. Eine Abkürzung, die bedeutet: Differences of Sexual Development. Und die Frage, wie man mit diesen Menschen umgeht, war die Triebfeder  dieser Erklärung "Intersexualität" des Deutschen Ethikrates. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie man Menschen, die in einem solchen Dazwischen sind, so begegnen kann, dass sie Respekt und Unterstützung der Gesellschaft erfahren können. Und dass sie vor allem auch vor medizinischen Fehlentwicklungen und Übergriffen geschützt werden können.  



domradio.de: Und sagt der Ethikrat dann, eine Operation verletzt das Persönlichkeitsrecht dieser Menschen?

Weihbischof Losinger: Es ist in der Tat eine gesellschaftliche Entwicklung in der zurückliegenden Zeit zu vermerken, wo  eine sogenannte Geschlechtszuweisung vorgenommen wurde. Es wurde also bei einem Kind bereits in einem sehr frühen Alter durch medizinische Maßnahmen durch Chirurgie und auch durch hormonelle Behandlungen  eine Geschlechtszuweisung vorgenommen. Und hier kann zum Teil eine sehr unglückliche  Konstellation entstanden sein, die für diese Menschen sehr verletzend, sehr problematisch ist. In diesem Kontext hat der Deutsche Ethikrat überlegt, ob hier nicht in der Tat ein Fonds für eine Entschädigung oder auch eine Schmerzensgeldzuwendung angebracht ist.  



domradio.de: Der Deutsche Ethikrat schlägt vor, dass es im Personenstandsregister neben männlich und weiblich dann eine dritte Kategorie "anderes" geben soll?

Weihbischof Losinger: In der Tat war dieser Gedanke für uns zielführend. Es ist nicht generell die Forderung eines dritten Geschlechtes, das es ja de facto nicht gibt, sondern die Frage des Umgangs mit Menschen, deren Geschlecht auch nach einer medizinischen und naturwissenschaftlichen Annäherung nicht festgestellt werden kann. Die also weder männlich noch weiblich sind, noch sich so fühlen.

Und hier wird in der Tat vorgeschlagen,  ob man für sie eine Befreiung von einer Eintragung zum binären Geschlechterkontext anstreben sollte oder möglicherweise eine Eintragung mit dem Namen "anders". Man kann sich kann praktisch vorstellen, welche Schwierigkeiten ein solcher Mensch vor sich sieht. Allein wenn jemand dann in die Schule kommt, allein auf welches Klo soll er gehen?



domradio.de: Da fängt das schon an.

Weihbischof Losinger: Und es geht weiter bis hin zur Gestaltung des ganzen Lebens solcher Menschen. wir haben im Deutschen Ethikrat auch mit Betroffenheit die Schilderungen der von DSD betroffenen Menschen zur Kenntnis genommen und diese Elemente einbezogen in eine solche Stellungnahme, deren Ziel es ist, intersexuelle Menschen anzuerkennen, sie zu unterstützen und sie auch vor gesellschaftlicher Diskriminierung zu bewahren.

Das Interview führte Tommy Millhome.



Hintergrund

Der Deutsche Ethikrat hat den Umgang mit intersexuellen Menschen in der Vergangenheit verurteilt und Entschädigungen für die Folgen von Operationen empfohlen. Viele Betroffene seien in ihrer Identität "aufs Tiefste verletzt" durch frühere Behandlungen, die nicht mehr dem heutigen Stand der Medizin entsprächen, heißt es in einer am Donnerstag veröffentlichten Stellungnahme des Ethikrats. Bei intersexuellen Menschen ist das Geschlecht nicht eindeutig ausgeprägt. Oft kommen sie bereits mit männlichen und weiblichen Genitalien oder Hormonen zur Welt.



Der unabhängige Ethikrat, der Bundestag und Regierung berät, hat 26 Mitglieder, darunter Naturwissenschaftler, Mediziner, Juristen, Philosophen und Theologen. Für die künftige Behandlung empfiehlt das Gremium Kompetenzzentren, Betreuungsstellen sowie Aus- und Weiterbildung für medizinisches Personal. Für die Durchsetzung von Entschädigungsansprüchen wird eine Ombudsperson empfohlen. Zudem sollten die Verjährungsfristen für straf- oder zivilrechtliche Ansprüche nach Operationen, die die sexuelle Selbstbestimmung verletzt haben, bis zur Vollendung des 18. beziehungsweise 21. Lebensjahres ausgedehnt werden.



Die Experten mahnen in ihrem Bericht einen zurückhaltenderen Einsatz geschlechtszuordnender Operationen an. Unumkehrbare medizinische Maßnahmen stellten unter anderem einen Eingriff in das Recht der körperlichen Unversehrtheit dar. Die Entscheidung für oder gegen einen Eingriff sollte vom Betroffenen selbst gefällt werden. Bei noch nicht entscheidungsfähigen Minderjährigen sollten Operationen nur erfolgen, wenn das Kindeswohl in Gefahr ist, heißt es.



Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, begrüßte die Stellungnahme als "richtungsweisend und lange überfällig". Sie mahnte den Gesetzgeber zu einer raschen Umsetzung unter anderem eines Hilfefonds" an.



Besonders unterstützte Lüders die Position des Ethikrats zur Pflicht, sich im Personenstandsregister auf ein Geschlecht festzulegen. "Wir brauchen hier neben weiblich und männlich einen weiteren Eintrag", sagte sie. Auch die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Barbara Höll, forderte eine Anerkennung Intersexueller im Personenstandsrecht und ein Verbot geschlechtsangleichender Operationen im frühen Kindesalter.



Der Ethikrat problematisiert in seinem Bericht den Zwang zur Entscheidung für ein Geschlecht. Die Mitglieder schlagen zur Lösung die Kategorie "anderes" vor. Die überwiegende Mehrheit der Experten befürwortete zudem, Menschen mit dieser Einordnung die Lebenspartnerschaft zu ermöglichen. Eine Minderheit der Experten schlägt vor, Intersexuellen die Möglichkeit der Eheschließung zu eröffnen.



Grundlage der aktuellen Stellungnahme sind verschiedene Studien sowie Online-Befragungen und eine Anhörung Betroffener. Der Ethikrat weist in dem Bericht darauf hin, dass es keine genaue Angabe zur Zahl Intersexueller in Deutschland gibt. Die Bundesregierung schätzt deren Anzahl auf 8.000 bis 10.000. Der Verein Intersexueller Menschen geht indes von 80.000 bis 120.000 Personen aus.



Die CSU-Landesgruppe im Bundestag lehnt die Einführung eines "dritten Geschlechts" ab. Dies sei "keine gute Idee", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer Stefan Müller (CSU) am Freitag in Berlin auf Anfrage. Es sei zu begrüßen, dass der Ethikrat mit seiner Stellungnahme auf das Leid von Intersexuellen hingewiesen habe. Damit würde auch für ein größeres Bewusstsein in der Gesellschaft gesorgt, sagte Müller. Eine Änderung des Personenstandsregisters mit einer neuen dritten Kategorie käme aber für ihn "nicht in Frage".