Joachim Gauck soll Bundespräsident werden

"Ein linker, liberaler Konservativer"

Joachim Gauck soll Bundespräsident werden. Darauf verständigten sich am Sonntagabend Vertreter der schwarz-gelben Koalition mit den Spitzen von SPD und Grünen in Berlin. Der evangelische Pfarrer und DDR-Bürgerrechtler Gauck war erster Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde. Er ist parteilos und gilt als unabhängiger Kopf und brillanter Rhetoriker.

Autor/in:
Norbert Zonker und Gottfried Bohl
 (DR)

Der sichtlich bewegte Gauck sagte bei einer Pressekonferenz im Kanzleramt, ihm sei wichtig, dass die Menschen in Deutschland wieder lernen, dass sie "in einem guten Land" leben. Die Freiheit gebe ihnen "wunderbare Möglichkeiten" zu einem erfüllten Leben, sagte der 72-Jährige, der an seine Kindheit im Nationalsozialismus und sein Leben in der DDR erinnerte.



Als Kandidat von SPD und Grünen bei der Bundespräsidentenwahl 2010 war Gauck Christian Wulff in der Bundesversammlung knapp unterlegen, der von Union und FDP unterstützt worden war. Wulff hatte am Freitag seinen Rücktritt erklärt Er steht wegen Vorgängen in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident unter dem Verdacht der Vorteilsannahme.



Die Wahl des parteilosen Gaucks zum elften Bundespräsidenten gilt als sicher, nachdem am Wochenende Union und FDP auf den Kandidaten der Opposition eingeschwenkt waren. Gauck wird als erster Ostdeutscher an der Spitze der Bundesrepublik stehen.



Ein "wahrer Demokratielehrer"

Merkel, die erste aus Ostdeutschland stammende Kanzlerin, sagte, Gaucks zentrales Thema sei die Idee der Freiheit in Verantwortung. Er sei in seinen verschiedenen Funktionen zu einem "wahren Demokratielehrer" geworden. FDP-Chef Philipp Rösler würdigte den Kandidaten als "Persönlichkeit, die Menschen für Demokratie begeistern kann". CSU-Chef Horst Seehofer nannte die Nominierung Gaucks "eine gute Entscheidung für unser Land".



SPD-Chef Sigmar Gabriel lobte die Gespräche mit der Koalition als offen und fair. Grünen-Chefin Claudia Roth wiederum sagte, Gauck könne der "Demokratie wieder Glanz verleihen". Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir nahm auf die guten Umfragewerte für Gauck Bezug und stellte die breite Unterstützung des Kandidaten in der Bevölkerung heraus.



Merkel hatte unmittelbar nach Wulffs Rücktritt am Freitag ihr Ziel bekundet, sich mit SPD und Grünen auf einen gemeinsamen Kandidaten zu einigen. Medienberichten zufolge soll es am Wochenende indes zeitweise Widerstand gegen Gauck in Reihen der Union gegeben haben. Union und FDP verfügen in der Bundesversammlung nur über knappe Mehrheit von wenigen Sitzen.



Intellektuell und als Redner herausragend

Obwohl von Parteien umworben, ließ sich Gauck nie parteipolitsch einbinden, er bezeichnete sich als "linker liberaler Konservativer". Gauck ist der einzige der Bürgerrechtler aus der Endphase der DDR, dessen Name auch eine inoffizielle Verbform hervorgebracht hat: "gaucken". Das zeigt, dass Joachim Gauck den Ruf seiner Institution, der Behörde für die DDR-Stasi-Unterlagen, weitaus stärker persönlich geprägt hat, als dies normalerweise bei Amtsleitern der Fall ist. Und für viele ist es keine Frage, dass der intellektuell und als Redner herausragend begabte Gauck auch das höchste Staatsamt mit Bravour ausfüllen wird.



Wie kein anderer steht Gauck für die unbestechliche, der Wahrheit, aber niemals dem Rachebedürfnis verpflichtete Aufarbeitung des Unrechts in der DDR. Er selbst sieht darin vor allem einen Beitrag zu einem "tragfähigen, auf Offenheit und Auseinandersetzung gegründeten inneren Frieden", wie er es in seinem zweiten Tätigkeitsbericht 1995 formulierte. Für den aus Rostock stammenden Sohn eines Kapitäns ist Freiheit nicht nur eine Floskel für Sonntagsreden, sondern existenzielles Anliegen. Was Unfreiheit bedeutet, hatte er bereits 1951 erfahren, als sein Vater wegen angeblicher Spionage verhaftet und bis 1955 nach Sibirien deportiert wurde.



Gauck studierte evangelische Theologie, wurde Pastor in Lüssow (Kreis Güstrow) und ab 1971 in Rostock-Evershagen und leistete so seinen Beitrag dazu, dass die Kirchen in der DDR ein Raum für das freie Denken und Sprechen blieben. In den 80er Jahren vertrat er eine zunehmend offensive und auch DDR-kritische Haltung in Menschenrechts-, Friedens- und Umweltfragen und gehörte 1989 zu den Initiatoren der kirchlichen und politischen Protestbewegung in Mecklenburg. Er leitete wöchentliche Gottesdienste mit anschließender Großdemonstration in Rostock und wurde Mitglied und regionaler Sprecher der Bürgerbewegung "Neues Forum".



Für sie wurde er 1990 Abgeordneter der ersten frei gewählten Volkskammer und leitete dort den "Sonderausschuss zur Kontrolle der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) /Amt für Nationale Sicherheit (AfNS)". Am 2. Oktober, dem letzten Tag vor der Wiedervereinigung, wählte ihn die Volkskammer nahezu einstimmig zum "Sonderbeauftragten für die personenbezogenen Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes der DDR".



Fairer, aber auch unbequemer Gesprächspartner

Für seine Amtsführung und seine Impulse wurde er später vielfach geehrt. Den Kirchen, deren anfangs zögerlichen Umgang mit ihrer Schuld bei Stasi-Verstrickungen er manchmal beklagte, war er ein fairer, wenn auch manchmal unbequemer Gesprächspartner. Gauck, der sich selbst als "linker, liberaler Konservativer" charakterisierte, wurde bereits 1999 als Bundespräsidenten-Kandidat vorgeschlagen - aus CSU-Kreisen und als Gegenkandidat zu Johannes Rau. Damals lehnte er ab. Nach dem Ende seiner Amtszeit im Oktober 2000 engagierte er sich gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und in der Vereinigung "Gegen Vergessen - Für Demokratie", deren Vorsitzender er seit 2003 ist. Politische Ämter oder Mandate hatte der Parteilose seither nicht.



Bundeskanzlerin Angela Merkel würdigte Gauck zum 70. Geburtstag mit den Worten: "Er hat sich in herausragender und auch in unverwechselbarer Weise um unser Land verdient gemacht - als Bürgerrechtler, politischer Aufklärer und Freiheitsdenker, als Versöhner und Einheitsstifter in unserem jetzt gemeinsamen Land sowie als Mahner und Aufarbeiter des SED-Unrechts." Und sie meinte auch: "Trotz aller Verschiedenartigkeit verbindet uns ja einiges, auch im Persönlichen."