Justiz will Wulffs Immunität aufheben

Es wird eng

Für Bundespräsident Christian Wulff wird die Luft an der Spitze des Staates immer dünner. Damit der Weg für Ermittlungen gegen ihn frei ist, beantragte die Staatsanwaltschaft Hannover in einem historisch einmaligen Vorgang am Donnerstagabend die Aufhebung der Immunität des Staatsoberhaupts. Es bestehe ein Anfangsverdacht wegen Vorteilsannahme, erklärte ein Sprecher.

Autor/in:
Julia Spurzem und Stefan Lange
 (DR)

Die Kredit- und Medienaffäre Wulffs erreicht einen weiteren Tiefpunkt: Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wird ein Ermittlungsverfahren gegen einen amtierenden Bundespräsidenten eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft erklärte, nach umfassender Prüfung neuer Unterlagen und der Auswertung weiterer Medienberichte sehe sie "zureichende Anhaltspunkte". Auch gegen den Filmunternehmer David Groenewold bestehe ein Anfangsverdacht wegen Vorteilsgewährung. Groenewold soll mit Wulff eng verbandelt sein.



Mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft ist aber noch nicht klar, ob tatsächlich gegen Wulff ermittelt wird. Er ist wie die Parlamentarier auf Bundes- und Landesebene durch die Immunität geschützt. Die Staatsanwaltschaft darf deswegen erst ermitteln, wenn der Bundestag zuvor den Schutz vor Strafverfolgung aufgehoben hat.



SPD für die Aufhebung der Immunität

SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann sprach sich für die umgehende Aufhebung der Immunität aus. Seine Partei werde den Antrag der Staatsanwaltschaft Hannover befürworten, er rechne mit einer großen Mehrheit im Plenum, teilte Oppermann via Kurznachrichtendienst Twitter mit. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Christian Lange, der Mitglied des Immunitätsausschusses ist, sagte der Tageszeitung "Die Welt": "Wir sind jederzeit zu einer Sitzung des Immunitätsausschusses bereit und dafür, die Immunität des Bundespräsidenten aufzuheben."



Der Immunitätsausschuss des Bundestags wird sich womöglich noch in diesem Monat mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft befassen. Ausschussvorsitzender Thomas Strobl (CDU) sagte dem Blatt, wenn ein solcher Antrag "bei uns einginge, würden wir diesen im Ausschuss beraten und dem Plenum des Bundestages eine Beschlussempfehlung geben, ob die Immunität des Bundespräsidenten aufzuheben wäre." Die nächste Sitzungswoche des Bundestages beginnt am 27. Februar. Der Immunitätsausschuss tagt normalerweise immer am Donnerstag. Er kann aber auch auf den Montag vorgezogen werden.



CDU und Merkel schweigen - Auch FDP bleibt stumm

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles forderte unterdessen Wulffs Rücktritt. "In meinen Augen ist eine staatsanwaltschaftliche Ermittlung mit dem Amt des Bundespräsidenten unvereinbar", sagte sie der "Passauer Neuen Presse" (Freitagausgabe) einem Vorabbericht zufolge. Auch der Grünen-Politiker Christian Ströbele befürwortete einen Rücktritt. Für ihn sei es "unvorstellbar, dass demnächst Staatsanwälte das Schloss Bellevue durchsuchen", sagte Ströbele dem "Tagesspiegel" und forderte: "Christian Wulff sollte die Konsequenzen ziehen, jetzt reicht"s."



Der Parteivorsitzende der Linken, Klaus Ernst, betonte, dass sich auch ein Bundespräsident nicht im rechtsfreien Raum bewegt. "Auch ein Bundespräsident muss sich an Recht und Gesetz halten. Der Ausschuss muss jetzt genau prüfen, ob die Vorwürfe wirklich ausreichen, um die Immunität aufzuheben", sagte Ernst der dapd.



Die CDU-Bundespartei wollte sich hingegen auf Anfrage nicht zu dem Thema äußern. Die FDP gab ebenfalls keine Stellungnahme ab.



Staatsrechtler: Merkel steckt nun in einem Dilemma

Nach Einschätzung des Staatsrechtlers Hans Herbert von Arnim liegt der Schwarze Peter nun bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrer Regierungsmehrheit. Denn ohne sie könne der Bundestag die Immunität Wulffs nicht aufheben, sagte der Wissenschaftler der dapd. "Das bringt Merkel in ein Dilemma: Ein von ihr ausgesuchter Präsident, gegen den strafrechtlich ermittelt wird, ist genau so belämmernd wie ein Präsident, gegen den - allein wegen seiner Immunität - nicht ermittelt werden kann."



Wulff könnte sie aus der Zwangslage befreien, indem er zurückträte, doch das bringe Merkel in ein neues Dilemma, sagte von Arnim. Wulff werde vermutlich nur gegen die Zusage Merkels zurücktreten, den Ehrensold, also das Bundespräsidenten-Ruhegehalt, zu bekommen. "Dies wäre aber nur möglich, wenn die Regierung dem Gesetz Gewalt antut. Denn beim Rücktritt aus persönlichen Gründen darf der Präsident eigentlich keinen Ehrensold erhalten", sagte von Arnim weiter.



Zwei Umzugskartons mit Akten Am Mittwoch erst hatte die Staatsanwaltschaft Hannover viele wichtige Akten im Fall Wulff erhalten. Zwei Umzugskartons mit 16 Ordnern und mehreren Heftern erreichten die Behörde aus der niedersächsischen Staatskanzlei. Zudem wurden Papiere über die umstrittene Bürgschaftszusage des Landes an Groenewold geliefert.



Lange hatte sich die Staatskanzlei Zeit gelassen, bevor sie nun die Aufhebung der Immunität beantragte. Seit Beginn der Affäre konnten die Ermittler immer nur Zeitungsartikel und Fernsehberichte auswerten. Im Rahmen der Ermittlungen können nun umfangreich Akten geprüft werden.



Der Bundespräsident steht seit zwei Monaten wegen diverser Affären in der öffentlichen Kritik. Der Filmunternehmer Groenewold hatte Wulff und seiner heutigen Ehefrau Bettina 2007 Übernachtungen in einem Luxushotel auf Sylt zunächst bezahlt. Wulff soll diese Auslagen später bar an den Unternehmer zurückgezahlt haben. Groenewolds Firma hatte unter der von Wulff geführten Landesregierung eine Bürgschaftszusage des Landes Niedersachsen erhalten.