Christian Wulff tritt als Bundespräsident zurück

Am Ende des Durchhaltevermögens

Am Ende wog der Autoritätsverlust zu schwer. Die jüngsten Entwicklungen hätten das notwendige "Vertrauen und damit meine Wirkungsmöglichkeiten nachhaltig beeinträchtigt", begründete Bundespräsident Christian Wulff am Freitag seinen Rücktritt.

Autor/in:
Christoph Scholz
 (DR)

Den ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten holte nicht nur seine Vergangenheit ein. Vor allem sein Umgang mit dieser Vergangenheit unterminierte den Vertrauensvorschuss in der Bevölkerung - und damit die "geheime Macht" des Bundespräsidenten. Mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft Hannover auf Aufhebung der Immunität ist diese endgültig aufgebraucht. Ein beispielloser Fall in der Geschichte der Bundesrepublik.



Wulff war das jüngste und wohl auch glückloseste bundesdeutsche Staatsoberhaupt. Mit dem Image des "Schwiegersohns" hatte er sich als Politiker jenseits des Parteiengezänks in der Bevölkerung höchste Sympathiewerte erworben. Bescheiden, zuverlässig und etwas bieder im Auftreten, das machte ihn "präsidiabel". Umso größer war die Enttäuschung, als das Bild bröckelte. Die Medien - selbst einige konservative - hatten vor der Wahl den Gegenkandidaten Joachim Gauck favorisiert. Erst nach zwei quälenden Wahlgängen konnte Merkel ihren Kandidaten durch die Bundesversammlung bringen.



Erst der zweite Katholik im Amt

Mit Wulff übernahm nach Heinrich Lübke, der von 1959 bis 1969 amtierte, der zweite Katholik das höchste Staatsamt. "Mir gibt der Glaube ein Wertegerüst, Orientierung, Bindung und das Vertrauen, dass da etwas über uns ist, dass es eine Letztverantwortung und eine Perspektive über den Tod hinaus gibt", erklärte er öffentlich.



Am 19. Juni 1959 in Osnabrück geboren, verlebte er eine katholisch geprägte Kindheit: im Kindergarten, der Elisabethschule und als Ministrant. Es war aber keine unbeschwerte Zeit: Mit zwei Jahren muss er die Trennung seiner Eltern miterleben. Die Mutter heiratet erneut. Doch der zweite Mann lässt sie im Stich, als sie an Multipler Sklerose erkrankt. Der 14-Jährige pflegt sie und kümmert sich um die jüngere Schwester. Die Politik ermöglicht ihm auch einen Ausstieg aus bedrückenden Verhältnissen. Mit 15 Jahren engagiert er sich in der Schüler-Union und wird Bundesvorsitzender. Später schafft es der Hoffnungsträger seiner Partei, Sigmar Gabriel (SPD) im dritten Anlauf als niedersächsischen Ministerpräsidenten abzulösen.



"Besser die Wahrheit" lautete der Titel des Interview-Buchs zur Wiederwahl 2006. Dem hohen Anspruch widersprach nicht nur die Affäre um den zweifelhaften Privatkredit des Unternehmerpaares Geerkens. Für weiteren Schaden sorgte der gründlich misslungene Versuch, die Berichterstattung zu beeinflussen. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Wulff und Filmunternehmer David Groenewold wegen des Anfangsverdachts der Vorteilsnahme beziehungsweise Vorteilsgewährung.



Bitte an Papst Benedikt XVI. - auch in eigener Sache

Als Bundespräsident sah sich Wulff dem Vorwurf ausgesetzt, kein Thema zu haben. Dennoch setzte er in seiner kurzen Amtszeit Akzente. Er empfing die Angehörige der Opfer der Nazi-Morde und drängte auf eine Trauerfeier - der er selbst nun nicht mehr vorstehen wird. Für Aufsehen sorgte seine Aussage, der Islam sei ein Teil Deutschlands.  Bei einem Türkeibesuch kehrte er diese Aussage um: Das Christentum gehöre zur Türkei.



Mit Wulff, der nach einer Scheidung wieder heiratete, zog erstmals eine Patchwork-Familie ins Schloss Bellevue ein. Was für die einen Fortschritt bedeutete, beklagten andere als Verlust der Vorbildfunktion. Ein Höhepunkt seines öffentlichen Auftretens war der Deutschland-Besuch von Papst Benedikt XVI. Die Bitte des Katholiken Wulff an das Kirchenoberhaupt, barmherziger "mit Brüchen in der Lebensgeschichte von Menschen" umzugehen, war auch ein Anliegen in eigener Sache.



Der Rücktritt beendet ein monatelanges Gezerre um Amt und Würden - zugleich Anlass einer Debatte um persönliche Moral und öffentliche Verantwortung, die Freiheit der Presse und die Rolle der Verfassungsorgane. Für den Nachfolger wird es nun darauf ankommen, das beschädigte Vertrauen in den höchsten Repräsentanten des Staates zurückzugewinnen.