Sozialverband reicht geplante Pflegereform nicht

Die Konzepte liegen auf dem Tisch

Verbände und Gewerkschaften haben Gesundheitsminister Bahr zu einer umfassenderen Pflegereform als bislang geplant aufgefordert. Ein gesamtgesellschaftlicher Aufbruch sei nötig. Im domradio.de-Interview stellt der Präsident des Sozialverbands Deutschland, Adolf Bauer, seine Pläne vor.

 (DR)

domradio.de: Wir warten schon länger auf eine umfassende Pflegereform. Warum ist das, was uns die Regierung bisher bietet Ihrer Ansicht nach ungenügend?

Bauer: Das ist deswegen ungenügend, weil man nicht umfassend an eine Pflegereform herangeht, sondern versucht, an einigen Stellen gewissermaßen den Druck abzulassen und dort den Forderungen und den Bedarfen zu entsprechen. Aber der große Wurf, der wird immer wieder gescheut. Wir diskutieren nicht den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff. Wir nehmen oder versuchen, keine umfassende Finanzierung sicherzustellen. Das, was passiert, sind gewissermaßen Flickenteppiche, die man legt.



domradio.de: Zum Bündnis "Gute Pflege" gehören zehn Partner aus Selbsthilfe- und Verbrauchervertretungen, Sozial- und Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften und Berufsverbänden. Ziel des Bündnisses ist es, die Situation zu verbessern, die Situation zum einen der Menschen, die zu pflegen sind und auch der, die pflegen. Wie wollen Sie das schaffen?

Bauer: Man muss es schaffen, in dem man zunächst einmal die Qualität in der Pflege sichert. Das ist eine ganz wichtige Voraussetzung. Dann muss man sehen, dass der größte Teil an Pflege von pflegenden Angehörigen erbracht wird. Dieser Personenkreis muss deutlich entlastet werden, er muss besser beraten werden, er braucht professionelle Unterstützung. Außerdem brauchen wir eine Verbesserung der Finanzierung, damit auch die Löhne und Gehälter der Pflegenden, des Pflegepersonals insgesamt angehoben werden, damit die Arbeit entsprechend gewürdigt werden kann. Wir brauchen darüber hinaus eine umfassende Einbeziehung der Demenzerkrankten. Das wurde bereits 2009 durch den Beirat diskutiert. Es gab ein Konzept, es gab Umsetzungskonzepte. Diese Dinge liegen jetzt seit fast drei Jahren auf dem Tisch und die Regierung verzögert die Maßnahmen, lässt die Zeit verstreichen.



domradio.de: Sie haben es eben gesagt. Viele pflegen ihre Angehörigen zu Hause, weil Pflegedienst oder Heim möglicherweise auch zu teuer sind oder sie holen sich billige, aber auch nicht immer legale Arbeitskräfte. Dabei stemmen sie mit Job, Familie und Pflege so ein Pensum, das sicherlich auch nicht zur Gesundheit der Pflegenden beiträgt. Ich will also damit sagen, dass auch hier Kosten im Gesundheitssystem anfallen werden, weil viele Pflegende sich übernehmen und krank werden. Was konkret ist Ihr Ansatz, wie entlastet man diese Angehörigen?

Bauer: Indem man diesen Personenkreis besser berät, indem man ihnen eine Auszeit zwischendurch ermöglicht, damit sie selbst nicht zu Pflegefällen werden. Wir müssen sie also deutlich entlasten, indem Pflegekurse ausgebaut werden, indem man ihnen Reha-Maßnahmen anbietet, indem man Gesprächskreise ausbaut. Wir brauchen darüber hinaus eine bessere Regelung in der Vereinbarkeit von Pflege- und Berufstätigkeit. Wir müssen die Leistungen für häusliche Pflege anheben, wir müssen die rentenrechtliche Anerkennung von  Pflegezeiten verbessern. Die sind auch bisher nicht gut geregelt. Es gibt also einen ganzen Maßnahmenkatalog, der notwendig ist, um einmal die pflegenden Angehörigen zu unterstützen und zu stärken. Dann brauchen wir ein Paket, um auch das professionelle Pflegepersonal angemessen zu entlohnen, um auch sicherzustellen, dass junge Leute sich für diesen Pflegeberuf interessieren und der Mangel im Pflegebereich in dem Sektor des Personals nicht noch größer wird.



domradio.de: Die Pflegeberufe schneiden sicherlich sehr schlecht ab, wenn man heute junge Leute nach ihren Wunschberufen befragt. Was müsste denn passieren, damit die Berufe attraktiver werden?

Bauer: Man muss die Arbeitszeiten angemessen regeln. Man muss die Möglichkeiten schaffen, dass sie nicht noch während der Ausbildungszeit Schulgeld mitbringen müssen. Das ist ja heute auch nicht angemessen geregelt. Wir müssen bedarfsdeckende Angebote insgesamt schaffen, damit auch jüngere Pflegekräfte, falls sie Familie haben, auch in der Lage sind, ihrer Arbeit nachzugehen.  Das heißt, es müssen Betreuungsplätze für Kinder geschaffen werden. Hier sind Forderungen, die es im allgemeinen Arbeitsleben auch gibt, aber die ganz besonders für Menschen im Pflegebereich gelten. Und das, was seit Jahren diskutiert wird, muss endlich umgesetzt werden. Daran muss die Regierung endlich arbeiten. Die Konzepte liegen auf dem Tisch und dass, was jetzt versucht wird, ist ein Hinhalten, ist ein Ausweichen auf Nebenkriegsschauplätze. Man muss die Finanzierung umfassend sichern und nicht nur vorübergehende Lösungen finden.



domradio.de: Gute Pflege kostet nun mal Geld. Haben Sie denn Ideen, wie eine Finanzierung der Pflegeversicherung aussehen könnte? Da gibt es ja Pläne zur Neuausrichtung von Seiten der Regierung.

Bauer: Es gibt Pläne, das sind die 0,1 Prozent. Die reichen aber nicht aus, wenn man die Pflege, den Pflegebedarf finanzieren will. Man muss das Ganze auf breitere Füße stellen. Man könnte den Beitrag, die Beitragsbemessungsgrenze anheben. Man könnte andere Einnahmequellen mit in die Pflegeversicherung einbeziehen. Man müsste solidarisch finanzieren. Man ist von der solidarischen Finanzierung weitestgehend abgewichen. Da gibt es eine ganze Palette an Vorschlägen, aber die Regierung diskutiert wieder eine einseitige Belastung der Versicherten und keine solidarische.



Das Interview führte Dagmar Peters (domradio.de)



Hintergrund: Der Sozialverband Deutschland gehört mit Gewerkschaften, Sozial- und Wohlfahrtsverbänden sowie Berufsverbänden und Verbrauchervertretern zum Bündnis "Gute Pflege", das am Dienstag gestartet ist. Ziel des Zusammenschlusses sei es, sich "mit geballter Kraft" für eine menschenwürdige Pflege einzusetzen.

Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) hatte im Januar seinen Pflege-Gesetzentwurf vorgestellt. Unter anderem ist darin mehr Geld für Demenzkranke in den unteren beiden Pflegestufen vorgesehen, sofern sie zu Hause versorgt werden.

Die Änderungen sollen 2013 in Kraft treten, zusammen mit einer Beitragserhöhung um 0,1 Prozentpunkte. In dieser Woche werden die Verbände, Bundesländer und Bundesministerien zum Entwurf angehört.