Das ökumenische Reiseunternehmen "Biblische Reisen" wird 50 Jahre alt

So aktuell wie 1962

Am Samstag feiert "Biblische Reisen" 50. Geburtstag. Der Geschäftsführer des Stuttgarter Unternehmens, Georg Röwekamp, über den Unterschied zu anderen Tourismusanbietern und seine Wünsche für die Zukunft.

 (DR)

KNA: Herr Röwekamp, was war 1962 der Anlass, ein Unternehmen wie "Biblische Reisen" zu gründen?

Röwekamp: Damals spielte die moderne Bibelforschung eine immer größere Rolle, und der Tübinger Alttestamentler Herbert Haag kam zu der Überzeugung, dass die Erkenntnisse nicht im Elfenbeinturm der Wissenschaft bleiben dürfen, sondern an alle weitergegeben werden müssen. Er wandte sich mit der Frage an das Katholische Bibelwerk, ob die Weitergabe dieses Wissens nicht in der Form von Reisen besser organisiert werden könne. Haag ging es nicht um klassische Pilgerfahrten, sondern um biblische Studienreisen.



KNA: "Biblische Reisen" wurde schnell groß.

Röwekamp: Die Einzelreisenden von damals - viele waren Pfarrer - wollten, dass auch ihre Gemeinden diese Erfahrungen machen können. 1971 reifte die Überzeugung, dass solche Angebote für Katholiken und Protestanten offen sein sollten. Ein ökumenischer Arbeitskreis für biblische Reisen entstand. Dahinter standen die evangelische Deutsche Bibelgesellschaft und das Katholische Bibelwerk. 1983 wurde die Rechtsform geändert: Der Verein gründete eine GmbH, ist aber bis heute deren einziger Gesellschafter. Der letzte Schritt geschah Mitte der 1980er Jahre, als der Wunsch aufkam, auch in andere Länder als in den Nahen Osten zu reisen. Jetzt wurden die Stätten der Christenheit und die Welt der Religionen zu Zielen. Das wurde nicht sofort verstanden. Die "Zeit" veröffentlichte eine Glosse, in der es hieß: "Biblische Reisen" bietet jetzt auch Reisen nach Irland an, Bibelstellen werden noch gesucht.



KNA: Und finanziell...

Röwekamp: ... sind wir völlig unabhängig, obwohl wir kirchennah sind. Wenn wir schlecht wirtschaften, rettet uns niemand vor der Pleite, aber wenn wir Geld verdienen, müssen wir es nicht abführen, sondern können es für Rücklagen nutzen.



KNA: Heute sind sie eine mittelständische Firma mit einem Jahresumsatz von rund 28 Millionen Euro und knapp 20.000 Menschen, die jedes Jahr mit Ihnen auf Tour gehen. Wie gehen sie wirtschaftlich damit um, dass ihre wichtigste Reiseregion das größte Konfliktgebiet der Welt ist?

Röwekamp: Das ist tatsächlich schwierig. Wir müssen Reserven für Krisenzeiten bilden. Unserer Planungen sind von vielen äußeren Faktoren abhängig. 2009 hätte ein gutes Jahr werden können, doch dann kam im Januar der Gazakrieg, und wir konnten alle Prognosen einstampfen. 1991 und 2001 mussten wir wegen Nahostkonflikten sogar Personal entlassen. Andere Reiseziele helfen uns dabei, wirtschaftlich etwas unabhängiger zu werden. Ohne Malta, Zypern und die Türkei hätten wir die Intifida 2000 vielleicht nicht überstanden.



KNA: Was unterscheidet "Biblische Reisen" von anderen Anbietern?

Röwekamp: Drei Viertel unserer Touren sind Gruppenreisen, ein Viertel sind unsere Katalogreisen. Bei den Gruppenreisen entscheidet sehr stark der Gruppenleiter über den Charakter. Der evangelische Pfarrer bekommt bei uns seine Reise auf den Spuren der Reformation ebenso wie sein katholischer Kollege seine Pilgerfahrt mit täglichem Gottesdienst. Die Kunst unserer Mitarbeiter ist, genau zu hören, was einer möchte. Wir organisieren auf Wunsch auch eine Fußwallfahrt für 200 Pilger ins Heilige Land, vermitteln Gesprächskontakte. Bei den Katalogreisen verfolgen wir unsere eigene Linie. Dazu gehört einmal am Tag eine Besinnung, wobei die Reiseleiter frei sind, wie sie einen solchen Akzent gestalten. Er muss zu ihnen und zum Ort passen. Es geht immer um den Blick, mit dem man etwas betrachtet. Wir haben einen biblischen Blick.



KNA: Und das heißt?

Röwekamp: Unser Toskana-Programm sieht auf den ersten Blick so ähnlich aus wie das eines anderen Anbieters. Wir schauen aber diese Welt an und fragen: Was hat das mit Gott zu tun? Wir gehen in Pisa nicht nur auf den schiefen Turm, sondern auch in den Dom und das Baptisterium. Wir denken darüber nach: Was bedeutet Taufe? Was erzählen uns die Orte über die Menschen damals und was sagen sie uns heute? Das Religiöse verengt nicht, sondern führt tiefer. Oder Ägypten: Pyramiden kann jeder, aber wir sprechen mit Kopten, schauen auf das Verhältnis zwischen Muslimen und Christen.



KNA: Wie hat sich das Reiseverhalten seit 1962 verändert?

Röwekamp: Die Reisen werden kürzer. Früher gab es für viele die eine große Dreiwochentour im Jahr. Heute sind es oft drei vier Reisen. Negativ betrachtet werden einige Reisen oberflächlicher, andererseits ist das Interesse der Menschen heute breiter. Wer nach Griechenland fährt, hat nicht nur die Apostelgeschichte unterm Arm, sondern will auch etwas über die Eurokrise hören. Das Interesse an der existenziellen Bedeutung dessen, was ich sehe, ist heute stärker.



KNA: Was ist Ihr größter Wunsch für die nächsten 50 Jahre?

Röwekamp: Wir brauchen eine neue Generation von Menschen, die den Vorteil solcher Fahrten sieht. Die erste Generation von Pfarrern, die bei Biblische Reisen nachgefragt haben, stirbt nach und nach aus. Die heutigen Pfarrer sind häufig absolut überlastet. Wir brauchen deshalb auch andere Ansprechpartner vor Ort, und es ist schwer, sie zu finden. Bei den Katalogreisen wollen wir die Angebote ausweiten, wo es um sinnliche Elemente und existenzielle Fragen geht. Reisen ist neben Kunst die einzige Möglichkeit, Religion noch einmal neu ins Gespräch zu bringen und neue, sanfte Zugänge zu ermöglichen. Auch bei jungen Menschen kommen dann Fragen und Gespräche auf, die sonst nie möglich wären. 2012 bieten wir erstmals "Reisen für Atheisten" an. Das ist etwas plakativ formuliert, passt aber zur Aufgabe von Biblische Reisen. Die ist heute mindestens so aktuell wie vor 50 Jahren.



Das Gespräch führte Michael Jacquemain.