Nigerianischer Priester Ehusani über den Terror gegen Christen

Angst vor Anarchie

Mehr als 200 Menschen sind seit Weihnachten bei Anschlägen der Terrorgruppe Boko Haram in Nigeria getötet worden. Die meisten Opfer sind Christen. Der frühere Generalsekretär der Nigerianischen Bischofskonferenz, Father George Ehusani, über die Ziele der Islamisten und ihre Stellung in der Gesellschaft.

 (DR)

KNA: Father Ehusani, der Erzbischof von Jos, Kaigama, sieht die wichtigste Ursache für den islamistischen Terror in Nigeria in der ungleichen Verteilung von Macht und Reichtum. Wollen die Terroristen vor allem materielle Gerechtigkeit?

Ehusani: Es stimmt, dass Armut, Perspektivlosigkeit und die Wut über die korrupten Regierungen es Boko Haram erleichtern, unzufriedene junge Männer zu rekrutieren. Doch dieselben Probleme haben wir ja auch im christlichen Südnigeria, ohne dass sich dort religiöse Terrorgruppen bilden. Das religiöse Motiv von Boko Haram, der Kampf für einen islamischen Gottesstaat Nigeria, ist deshalb aus meiner Sicht zentral. Christen, deren Kirchen während der Gottesdienste in die Luft gesprengt werden, dürften das genauso sehen. Boko Haram geht es in erster Linie um die Stärkung einer "islamischen Identität". Dafür töten sie Unschuldige.



KNA: Die islamischen Bundesstaaten haben doch schon vor Jahren die Scharia eingeführt. Warum reicht das den Terroristen nicht?

Ehusani: Nordnigeria ist längst nicht so fundamentalistisch, wie Boko Haram es gern hätte. Der westliche Einfluss bleibt stark. Es gibt dort weiterhin Nachtclubs, Bars und Kinos, die meistens von Christen geleitet werden. Auch Bordelle gibt es noch. Und natürlich das ganze nigerianische Fernsehprogramm mit westlichen Filmen. All das gilt den Fanatikern als unislamisch und ist es ja teilweise auch. Das Problem ist, dass sie die Christen insgesamt dafür verantwortlich machen und sie mit dem Westen identifizieren, der das Christentum hier verbreitet hat. Dagegen wollen sie die Kontrolle über ganz Nigeria.



KNA: Wie groß sind die Sympathien für Boko Haram in der muslimischen Bevölkerung?

Ehusani: Das ist schwer zu sagen, weil niemand öffentlich Partei für Terroristen ergreifen würde, die offiziell als Staatsfeinde gelten. Eine Sympathisantenszene muss es geben, sonst könnte sich die Gruppe nicht halten und in dieser Größenordnung zuschlagen. Auf der anderen Seite sind Christen und Muslime in Nigeria an vielen Orten friedliche Nachbarn.



KNA: Viele meinen, Boko Haram hat hochrangige Unterstützer in der Politik.

Ehusani: Davon gehe ich aus. Die Logistik der Gruppe hat inzwischen eine Perfektion erreicht, die eine solche Hilfe nahelegt. Auch die Massenausbrüche von Boko Haram-Kämpfern aus staatlichen Gefängnissen würden wohl kaum ohne die Unterstützung mächtiger Hintermänner gelingen. Bisher ist es aber kaum gelungen, Sympathisanten in hohen Positionen ausfindig zu machen.



KNA: Wie verhalten sich die islamischen Würdenträger nach den Anschlägen?

Ehusani: Abgesehen von Hasspredigern verurteilen sie den Terror jetzt einhellig. Ich hätte mir aber schon früher viel deutlichere Worte gewünscht, Boko Haram mordet ja schon seit Jahren.



KNA: Immerhin gibt es doch einen intensiven interreligiösen Dialog zwischen nigerianischen Kirchen und dem Islam.

Ehusani: Ja, es gibt viele Kontakte zwischen Bischöfen und Emiren, sogar richtige Freundschaften. Doch anders als im Christentum, wo die Bischöfe für die ganze Glaubensgemeinschaft sprechen, gibt es im Islam keine zentralisierte Hierarchie. Wenn ein Emir die Gewalt als unislamisch verdammt, erreicht er damit nur die Muslime in seinem Einflussbereich.



KNA: Hat der Islam als Religion gegenüber dem Christentum ein Gewaltproblem?

Ehusani: Sagen wir so: Christen dürfte es heutzutage schwer fallen, im Evangelium eine Rechtfertigung für die Kreuzzüge zu finden. Der Koran enthält dagegen eine Reihe von Versen, in denen die Muslime zum Heiligen Krieg gegen Andersgläubige aufgerufen werden. Solche Stellen dürfen im Islam keine Relevanz mehr haben. Diese Arbeit muss die islamische Koranauslegung leisten. Wobei auch hier wieder das Problem besteht, dass der Islam keine verbindliche Lehrautorität kennt.



KNA: Auch Christen sind in der Vergangenheit gegen Muslime gewalttätig geworden. Es gab Angriffe auf Moscheen und Tote.

Ehusani: Das sind schlimme Vorkommnisse und die Kirche verurteilt sie. Man darf aber nicht völlig übersehen, dass sie aus Rache für vorherige Angriffe der Islamisten geschehen. Von denen geht die Gewalt aus. Die Christen haben aus meiner Sicht das Recht, sich zu schützen. Auch mit Waffen, wenn der Staat nicht dazu in der Lage ist. Das ist aber etwas anderes als willkürliche Gewalt gegen unbeteiligte Muslime.



KNA: Fürchten Sie einen Bürgerkrieg?

Ehusani: Vielleicht wünschen ihn die Islamisten. Ich glaube nicht, dass es soweit kommt. Aber wenn der Staat nicht wirksam eingreift, wird es in Nordnigeria dauernde Anarchie geben. Mehr Christen werden dann sterben und noch mehr werden ihre Heimat verlassen und nach Süden emigrieren. Das große nigerianische Experiment, dass zwei große Religionen friedlich in einem Staat zusammenleben, wäre gescheitert.



Das Interview führte Christoph Schmidt (KNA)