Das Weltsozialforum in Porto Alegre zeigt sich orientierungslos

Magere Zeiten für Kapitalismuskritik

Globale Finanz- und Wirtschaftskrise, "Occupy"-Bewegung und ein ratloser Wirtschaftsgipfel in Davos - eigentlich stehen die Aktien der weltweiten Kapitalismus-Kritiker gut. Auf dem am Sonntag im brasilianischen Porto Alegre zu Ende gegangenen Weltsozialforum gab es jedoch kaum Grund zu Jubel: Weniger Teilnehmer, innere Spaltungen, Mangel an Ideen. Die "andere Welt" steckt ebenfalls in der Krise.

Autor/in:
Thomas Milz
Gerade einmal 7.000 Aktivisten beim Weltsozialforum (KNA)
Gerade einmal 7.000 Aktivisten beim Weltsozialforum / ( KNA )

Angekündigt wurde das Treffen als "Thematisches Weltsozialforum". Es sollte um die Ausarbeitung einer alternativen Agenda für die im Juni in Rio de Janeiro stattfindende UN-Umweltkonferenz "Rio+20" und den parallel stattfindenden "Peoples Summit" gehen. Die Teilnehmer diskutierten über Verteilungsgerechtigkeit, familiäre Landwirtschaft und "Green Economy". Diese wird nach ersten durchgesickerten Entwürfen in Rio den Ton angeben.



Nichts weiter als ein grüner Anstrich für den altbekannten Kapitalismus, so Kritiker. "Die Weltwirtschaft soll grüner, die natürlichen Ressourcen sollen effizienter genutzt werden", meint Michael Frein vom Evangelischen Entwicklungsdienst (EED). "An der weltweiten Ungerechtigkeit soll sich aber anscheinend nichts ändern."



Spaltung der globalen Protestbewegung

Auf dem Forum setzte sich unterdessen die Spaltung der globalen Protestbewegung fort. Wichtige Umweltgruppen blieben wiederum fern; anstelle von Konfrontation setzen sie auf Zusammenarbeit mit Unternehmen und Regierungen. In Porto Alegre fehlten aber auch Mitglieder junger Bewegungen wie "Occupy Wall Street", des arabischen Frühlings und europäischer Jugendproteste. Stattdessen waren die üblichen Vertreter der links-alternativen Szene, darunter viele in die Jahre gekommene Alt-68er, vor Ort. Deren Dialektik von Gut und Böse kommt bei der jungen Generation offenbar nicht an.



"Wir müssen unsere Strategie ändern", verkündete Francisco Whitaker, einer der Gründerväter des Weltsozialforums. "Heute stimmen wir hier selbstzufrieden alle in allen Punkten überein. Dabei müssen wir anfangen, darüber nachzudenken, wie wir die 99 Prozent erreichen, die nicht mit uns übereinstimmen." Solche Selbstkritik war bislang selten.



Occupy-Protest wird von einigen Idealisten kritisch gesehen

Als ideologiefreie Spontanbewegungen hatten andere Teilnehmer des Forums zuvor die jungen Protestinitiativen abgetan. Deren Ruf nach Arbeitsplätzen und Teilhabe am Wohlstand galt manchen Idealisten als Verrat. Doch die Zahlen sprechen für sich: Statt der erwarteten 30.000 Besucher kamen gerade einmal 7.000.



Auch die politische Prominenz fehlte. Die Staatschefs Hugo Chavez aus Venezuela, Evo Morales aus Bolivien und Fernando Lugo aus Paraguay, sonst Stammgäste, blieben fern. Uruguays Präsident Jose Mujica, der eigentlich mit der Präsidentin des Gastgeberlandes Dilma Rousseff auftreten sollte, sagte im letzten Moment ab. So nutze Rousseff ihre Rede in einer nur halb gefüllten Sporthalle, Werbung für die "Rio+20" Konferenz zu machen. Ansonsten kritisierte sie den Neoliberalismus der westlichen Welt, der in die derzeitige Krise geführt habe.



Dabei setzt auch sie auf Wirtschaftswachstum und die Ausbeutung von Ressourcen - allerdings unter dem ideologischen Mantel eines angeblich gerechteren linken Entwicklungsmodells. Für ihr Programm zum Bau zahlreicher Wasserkraftwerke im Amazonas-Urwald wurde sie lautstark kritisiert, ebenso für die Unterstützung eines neuen Waldgesetzes, das nach Meinung von Umweltschützern die Abholzung erleichtert.



Kritiker: Wahlkampfveranstaltung für Rousseff

In Abwesenheit internationaler Prominenz verkam das Forum nach Meinung vieler Teilnehmer und Beobachter zu einer Wahlkampfveranstaltung von Rousseffs Arbeiterpartei PT. Auf dem traditionellen Eröffnungsmarsch des Forums waren fast nur Gewerkschaftsfahnen zu sehen. Die früher allgegenwärtigen Che-Guevara-T-Shirts sah man überraschend selten. Spötter meinten, mit dem Kapitalismus gingen derzeit auch seine traditionellen Kritiker zugrunde.