Tibet-Initiative über zunehmende Unruhen in China

"Abgeriegelte Region ist schlechtes Zeichen"

Tibets Exilregierung hat China aufgefordert, Gewalt gegen Tibeter in der chinesischen Provinz einzustellen. Mit Gewalt sei die Stabilität in Tibet nicht wiederherzustellen, mahnt der im indischen Dharamsala lebende Ministerpräsident Lobsang Sangay. Im Januar hat sich erneut ein Tibeter selbstverbrannt, um so auf die Unterdrückung des tibetischen Volkes aufmerksam zu machen. Eine Einschätzung der Lage von Klemens Ludwig (Tibet-Initiative Deutschland)

China überwacht zahlreiche buddhistische Tibeter  (KNA)
China überwacht zahlreiche buddhistische Tibeter / ( KNA )

domradio.de: Seriöse Nachrichten aus der Region sind rar, was wissen Sie über die Lage vor Ort?

Klemens Ludwig (Tibet-Initiative Deutschland): Ich verfolge sehr intensiv, was tibetische und auch chinesische Quelle darüber berichten. Es scheint, dass seit vergangenen Montag die Ereignisse eskaliert sind, dass es eben zu den Demonstrationen gekommen ist. Dass dabei Polizeistationen angegriffen wurden, wie die Chinesen behaupten, würde ich gar nicht ausschließen, denn die Polizei ist für die Tibeter nicht nur ein Symbol, sondern auch ganz konkret das Element der Unterdrückung, was ihnen die Religionsfreiheit raubt, was für willkürliche Verhaftungen zum Teil von Dutzenden und Hunderten verantwortlich ist. Da ist eine große Wut, man kann wahrscheinlich auch sagen ein großer Hass auf die Polizei und der hat dann am Montag wohl Ausdruck gefunden in diesen Demonstrationen, die dann mit den Toten und den Verletzten geendet sind. Nach unseren Informationen hat es inzwischen an zwei Orten Schüsse auf Demonstranten gegeben. Das ist alles äußerst dramatisch und besorgniserregend. Vor allem wenn die Region abgeriegelt wird, ist das immer ein schlechtes Zeichen und man kann nur erahnen, wieviel Hundert verhaftet worden sind.



domradio.de: Der Konflikt schwelt schon lange, in den vergangenen Monaten hat es immer wieder auch Selbstverbrennungen gegeben. Was wissen Sie über die Selbstverbrennungen?

Ludwig: Diese Selbstverbrennungen sind ein letzter schrecklicher Ausdruck des Protests. Es hat insgesamt 16 Selbstverbrennungen gegeben. Die erste war im März 2011, dann war da lange Zeit keine weitere mehr und ab August und dann vor allem im Oktober ist es weiter eskaliert. In diesem Jahr waren es auch schon vier Mönche und im letzten Jahr auch einige Nonnen, die sich selbst verbrannt haben. Das kann man wirklich als ganz verzweifelten Ausdruck des Protestes sehen, weil der Buddhismus Gewalt, auch Gewalt gegen sich selbst, sehr radikal ablehnt.



domradio.de: 2008 gab es schon einmal einen großen Aufstand, dann wurden die Unruhen sozusagen durch militärische Mittel seitens Chinas eingedämmt. Ist zum Jahrestag des tibetischen Volksaufstandes am 10. Märzes ein Flächenbrand zu erwarten?

Ludwig: Das Potenzial an Frustration, an Verzweiflung, an Aussichtslosigkeit ist sicher kein bisschen geringer als 2008, zumal sich die Situation kein bisschen verbessert hat. Nur damals waren die chinesischen Behörden gar nicht darauf vorbereitet und diesmal sind sie es natürlich durch die Selbstverbrennungen, durch die jetzigen Demonstrationen. Ich gehe davon aus,  dass ein riesiges Aufgebot an Militär und Polizei das verhindern wird. Das ist eben die ganz große Tragik, auch wenn es nicht zum Flächenbrand kommt, der dann wieder von der Welt wahrgenommen wird, dass einfach in Tibet unbedingt etwas geschehen muss.  



domradio.de: Was kann die internationale Gemeinschaft tun, um Druck auszuüben?

Ludwig: China ist natürlich ein sehr, sehr starkes, auch wirtschaftlich starkes Land. Das bekommen wir gerade mit der Eurokrise immer wieder zu hören. Trotzdem denke ich, gibt es gewisse Möglichkeiten und zwar ist das vor allem der chinesischen Führung permanent deutlich zu machen, Tibet ist und bleibt ein internationales Thema. Die Führung kann nicht davon ausgehen, dass Tibet vergessen wird, worauf sie so ein bisschen spekuliert. Das heißt also: von Briefen an Abgeordnete bis hin zu Mahnwachen, Demonstrationen, was von der Tibet-Initiative und anderen Organisationen betrieben wird, das sind alles Möglichkeiten, um der chinesischen Führung zu zeigen: Tibet ist nicht vergessen. Die chinesische Regierung muss sich einfach auf eine friedliche Autonomie-Lösung einlassen. Das ist das, was wir für Tibet tun können und was zum Glück auch getan wird.



Das Interview führte Sabine Gründler (domradio.de)