Pax Christi drängt auf Afghanistan-Abzug

Seit zehn Jahren Krieg am Hindukusch

Gegen eine weitere Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes spricht sich die katholische Friedensbewegung Pax Christi aus. Ein Abzug sei dringend nötig, warnt Pax Christi-Vizepräsident Johannes Schnettler im domradio.de-Interview. Die Afghanen müssten erkennen, "dass das zivile Leben ertragreiches Leben ist und nicht die Flucht in die Gewalt". Der Bundestag stimmte am Donnerstag einer Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr um ein weiteres Jahr zu.

 (DR)

domradio.de: Sie appellieren an den Bundestag, das Mandat für den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr zu beenden. Warum?

Johannes Schnettler (pax christi): Wir sind seit zehn Jahren im Krieg mit Afghanistan und wir sind eine Gesellschaft, die aus dem Erbe des Zweiten Weltkrieges entstanden ist. Dieser Zweiter Weltkrieg hat fünf Jahre gedauert, in Afghanistan kämpfen wir seit zehn Jahren. Ich glaube, diese Relation macht deutlich, wie dringend ein Abzug aus Afghanistan ist.



domradio.de: Sie stellen die zivile Hilfe in den Vordergrund mit ihrem Appell "den Krieg in Afghanistan beenden". Welche zivile Hilfe stellen Sie sich denn vor und wie bilanzieren Sie diesen Krieg in Afghanistan nach diesen zehn Jahren?

Schnettler: Angesichts der Billionen von Summen, die in diesen Krieg hineingepumpt worden sind, ist die einfache Antwort, es braucht finanzielle Mittel zur Unterstützung, um den Aufbau des Landes in zivilen Strukturen wieder herzustellen. Das heißt, die Menschen brauchen eine zivile Perspektive. Sie müssen in der Landwirtschaft einen Beruf finden. Sie müssen sehen, dass das zivile Leben ertragreiches Leben ist und nicht die Flucht in die Gewalt die Existenzgrundlage für ihr Leben in Afghanistan.



domradio.de: Nun wird der Bundestag am Donnerstag über die weitere Beteiligung der Bundeswehr an der UN-Mission in Afghanistan auch entscheiden. Mit anderen Friedensorganisationen haben Sie Aktionen wie Mahnwachen zum Beispiel angekündigt,  was ist geplant und was wollen sie damit zum Ausdruck bringen?

Schnettler: Über den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan wird immer vergessen, dass wir im Krieg sind und dass im Krieg Menschen sterben. Wir haben jetzt in der deutschen Gesellschaft zum ersten Mal seit einigen Jahren bewusst zur Kenntnis genommen, dass Soldaten im Krieg getötet werden. In Afghanistan sterben jeden Tag Tausende von Menschen. Wir befürchten, dass die Zahl der Toten in diesem Krieg insgesamt auf über 100.000 Menschen geht. Ein ganz zentrales Anliegen unserer Aktionen ist auch ein Gedenken an die Toten vor dem Brandenburger Tor, um in der Öffentlichkeit das Bewusstsein zu wecken: Im Krieg in Afghanistan sterben Menschen.



domradio.de: Diese erneute Entscheidung über das Afghanistan-Mandat wird als Beginn des Abzugs bis 2014 zunächst einmal deklariert. Vergangene Woche sind auch die ersten 100 Soldaten abgezogen worden, würden Sie denn tatsächlich von einer Abzugsstrategie sprechen?

Schnettler: Eine Strategie ist noch nicht zu erkennen, wir haben 5000 und mehr Soldaten in Afghanistan, jetzt sind 100 abgezogen. Das kann man auch schlicht und einfach als einen Austausch von Personal sehen, da ist noch keine klare Linie zu erkennen. Ein Abzug ist ein Abzug und von daher muss es eine deutliche Truppenreduzierung geben, dass was jetzt gemacht wird, ist sozusagen ein Spiel mit der Wahrheit, so möchte ich es formulieren. Die Gesellschaft drängt auf einen Abzug aus Afghanistan und jetzt wird hier sozusagen häppchenweise etwas angeboten, was aber alles andere als einen Abzug darstellt.



domradio.de: Sie sind ganz klar gegen dieses Mandat. Sie werfen der Regierung auch vor, dass dieser Krieg, die im Grundgesetz vorgeschriebene Beschränkung der Bundeswehr auf die Verteidigung verletzt. Warum?

Schnettler: Wir haben über zehn Jahre Afghanistankrieg jetzt schleichend ins Bewusstsein vermittelt bekommen, dass unsere Interessen im Ausland zu verteidigen sind und dass es jetzt, wie das Grundgesetz die Bundeswehr definiert, nicht nur eine Landesverteidigungsarmee ist, sondern dass es eine Armee im weltweiten Einsatz ist. Da möchte ich doch noch mal sehr stark daran erinnern,  wir haben diesen weltweiten Einsatz einmal mit verheerenden Folgen von deutschem Boden aus geführt und wir können auch nicht mit dem Recht auf Sicherung unserer Energieressourcen und unserer Handelswege jetzt wieder neu eine Eingreifarmee aufbauen. Das entspricht nicht der deutschen Geschichte. Das erinnert sehr stark an Geschichtsvergessenheit.  



Das Interview führte Monika Weiß (domradio.de)