Vom deutschen Truppenabzug ist in Afghanistan noch nichts zu spüren

Die Weichen sind schon mal gestellt

Noch in diesem Monat sollen rund 100 deutsche Soldaten aus Afghanistan abgezogen werden. "Ein Signal in die richtige Richtung", sagt im domradio.de-Interview Militärdekan Joachim Simon, der gerade am Hindukusch war. Allerdings sei der Abzug im Land noch nicht spürbar.

 (DR)

domradio.de: Knapp 5.300 Mann sind inzwischen in Afghanistan. 100 Soldaten sollen jetzt abgezogen werden. Wie bewerten Sie den Abzug der ersten deutschen Soldaten in Afghanistan?? Sehen Sie einen Auftakt in diesem Beginn des Truppenabzugs - ist das eine Trendumkehr?

Militärdekan Joachim Simon: Ja durchaus. Natürlich, bei so vielen Soldaten, die in Afghanistan sind, da sind 100 weniger nicht so viel. Es ist sicher noch keine signifikante Reduzierung von Truppen. Aber in der Tat: Es ist ein Signal in die richtige Richtung. Dass man sagt: Viele Probleme Afghanistans lassen sich nicht durch Militärpräsenz allein lösen.



domradio.de: Wie ist denn die Stimmung unter den Soldaten? Was wollen die?

Militärdekan Joachim Simon: Die Stimmung ist im Großen und Ganzen zuversichtlich. Ich habe natürlich nicht so viel Einblick in das, was vielleicht im kleinen Kreis verschwiegen dann doch geäußert wird. Aber nach meinen Begegnungen und meinen Beobachtungen kann ich doch sagen, dass viele Soldaten nicht am Sinn dieses Einsatzes grundsätzlich zweifeln. Und der Sinn besteht darin, das afghanische Volk dorthin zu begleiten, dass es in der Lage ist mit eigenen Mitteln und Kräften Sicherheit, Freiheit und Menschenrechte im Land zu garantieren. Und der Bevölkerung ein Leben zu ermöglichen, in dem sie angstfrei leben kann.



domradio.de: Die Pläne der Bundesregierung sehen ja bis 2014 so aus die Truppe nach Hause zu holen. Heute beginnt also der Abzug. Was bedeutet das denn jetzt für die Soldaten, wenn jetzt die ersten Kameraden nach Hause gehen?

Militärdekan Joachim Simon: Ja, sozusagen eine Johanneische Funktion, um es jetzt mal biblisch zu sagen. Nach mir kommt einer, der stärker ist als ich. Sich selber allmählich überflüssig zu machen. Im Bewusstsein, dass man einen Auftrag hat, der nur temporär befristet ist. Und der dahin gehen muss, dass das afghanische Volk in der Lage ist, für sich selbst zu sorgen. Natürlich kann man sagen: das könnte man jetzt so mehr und mehr spüren. Was ich allerdings erlebe, gerade im Norden Afghanistans, ist noch weit davon entfernt, dass man von einer deutlichen Reduzierung etwas spüren könnte. Oder dass die Weichen dorthin gestellt werden. Im Gegenteil. Ich habe selten so viele Bauprojekte gesehen, gerade auch militärische Bauprojekte gesehen. Also das sieht überhaupt nicht nach Truppenabzug aus.



domradio.de: Sie sind Militärdekan und zuständig dafür, wen sie als Seelsorger zur Truppe nach Afghanistan schicken. Wer kommt denn dahin?

Militärdekan Joachim Simon: Na, unsere Besten natürlich! Also das heißt: Wir bekommen von unseren deutschen Bischöfen und auch einigen Ordensoberen, Priester- und auch Pastoralreferenten freigestellt. Derzeit gehen nur Priester in den Einsatz oder begleiten die Auslandseinsätze in Afghanistan. Anders im Kosovo. Dort sind es auch schon Pastoralreferenten. Wir versuchen natürlich solche Leute dort auszuwählen, von denen wir sicher sind, dass sie gut ausgebildet und dass sie auch den körperlichen Strapazen eines solchen Einsatzes auch gewachsen sind. Das kann nicht jeder. Jeder Pfarrer muss von einem Arzt zuvor gründlich untersucht worden sein. Muss diverse Schutzimpfungen bekommen haben, muss an diversen militärischen Ausbildungsprojekten teilgenommen haben. Zusammen mit der Einsatztruppe auch. Und wenn er das gut überstanden hat, dann wird er hier von uns aus noch einmal vorbereitet in einer ökumenischen Dienstbesprechung, denn auch die Ökumene muss im Einsatz funktionieren. Also mit dem evangelischen Pendant. Und dann werden sie in den Einsatz geschickt, und meistens geht es auch gut.



domradio.de: Und wenn jetzt die ersten Soldaten aus Afghanistan zurückkommen, gibt es dann so etwas wie eine psychologische Beratung oder Seelsorge für die Rückkehrer? Es sind ja auch viele Kameraden dort ums Leben gekommen.

Militärdekan Joachim Simon: Jeder Soldat, der aus dem Einsatz zurückkehrt, soll an einer Einsatznachbereitungsmaßnahme teilnehmen. An diesen Einsatznachbereitungsmaßnahmen, die durch Truppenpsychologie und speziell ausgebildete andere Kräfte durchgeführt werden, sollen sich nach Möglichkeit auch die Militärseelsorger beteiligen. Nicht in leitender Funktion, aber eben dabei sein, aufmerksam zuhören, über das, was die Soldaten berichten und sie dann auch wieder zurück in den deutschen Alltag begleiten, in die deutsche Lebenswirklichkeit. Also aus dem seelischen Ausnahmezustand wieder zurück in die deutschen Niederungen. Das gleiche gilt übrigens für unsere Pfarrer auch. Auch unsere Pfarrer brauchen eine spezielle Einsatznachbereitung. Nicht zusammen mit den Soldaten sondern gesondert.



Das Gespräch führte Monika Weiß.