Der koptisch-katholische Bischof Kyrillos zur Lage in Ägypten

Keine Angst vor Islamisten

Wohin treibt Ägypten? Ein Jahr nach Beginn des "Arabischen Frühlings" erscheint die Frage ungewisser denn je. Besonders der Umgang mit der großen christlichen Minderheit gilt im Westen als Nagelprobe für den Erfolg des ägyptischen Freiheitskampfes. Der koptisch-katholische Bischof von Assiut, Kyrillos Kamal William Samaan, blickt im Interview mit viel Optimismus in die Zukunft.

 (DR)

KNA: Herr Bischof Kyrillos, ein Jahr dramatischer Umbrüche, Hoffnungen, aber auch religiöser Gewalt liegt hinter Ägypten. Es begann mit Christen und Muslimen, die zusammen für die Freiheit demonstrierten. Wieviel von der Gemeinsamkeit des Tahrir-Platzes existiert noch zwischen den Religionen?

Kyrillos: Ich würde sagen, sehr viel. Die damaligen Szenen auf dem Tahrir-Platz sind ein fester Teil des kollektiven Bewusstseins, das die ägyptische Gesellschaft aus der Revolution mitnimmt. Das Nebeneinander von Kreuz und Koran war ja keine Show für die Medien. Erinnern Sie sich, dass damals zum ersten Mal christliche Lieder mitten in Kairo gesungen wurden, und alle Muslime haben mitgesungen. Die Erinnerung daran wirkt bei vielen weiter.



KNA: Auf der anderen Seite sorgten blutige Anschläge auf Kirchen und christliche Demonstrationen für Entsetzen.

Kyrillos: Natürlich gibt es religiöse Fanatiker und Unruhestifter aus den Reihen des alten Regimes, die Hass zwischen den Religionen säen wollen, weil sie sich davon Einfluss versprechen. Aber hier ist das Täter-Bild völlig undurchsichtig. Nicht einmal die radikalen Salafisten kann man über einen Kamm scheren. Ich habe in Oberägypten einen Salafistenprediger erlebt, der bei einem der interreligiösen Friedensgebete in einer Kirche sprach. Die große Masse der Ägypter lebt traditionell einen friedlichen Islam. Einen Kampf "Christen gegen Muslime" wird es nicht geben.



KNA: Die Kopten waren unter Mubarak Jahrzehnte lang Bürger zweiter Klasse. Hat sich denn daran etwas geändert?

Kyrillos: Vieles hat sich verbessert. Zum Beispiel ist es unter der Militärregierung leichter geworden, Genehmigungen für die Renovierung und den Neubau von Kirchen zu bekommen. Auch die Azhar-Universität, die unter Mubarak eher eine polarisierende Rolle spielte, ruft jetzt mit ihrer religiösen Autorität dazu auf, den Geist der Gemeinsamkeit zwischen Christen und Muslimen zu vertiefen und fördert Begegnungsprojekte für junge Gläubige beider Religionen.



KNA: Was bleibt aus christlicher Sicht noch zu tun?

Kyrillos: Die Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt muss bekämpft werden. Viele öffentliche Berufe sind Christen nach wie vor versperrt. Außerdem hoffen wir auf echte Religionsfreiheit, indem Übertritte zum Christentum nicht mehr behindert werden. Und der wichtige Beitrag der Kopten zur ägyptischen Geschichte sollte endlich gewürdigt werden. Zum Beispiel beginnt sie in den Schulbüchern immer noch mit der islamischen Eroberung. Die Zeit der Pharaonen und die christliche Antike werden völlig ausgeblendet.

Aber realistischerweise darf man nicht zu viel zu schnell erwarten. Ich hoffe auf eine allmähliche Gleichberechtigung der Christen.



KNA: Die Parlamentswahlen dürften die "gemäßigt islamistischen" Muslimbrüder überzeugend gewonnen haben. Auch die Salafisten haben rund ein Viertel der Stimmen. Macht Ihnen das keine Angst?

Kyrillos: Die Ägypter sind ein tief gläubiges Volk. Ihre Stimmen für den politischen Islam richteten sich nicht gegen die christliche Minderheit, sondern gegen einen Liberalismus westlicher Prägung, der das Religiöse aus dem staatlichen Leben verdrängen will. Die Salafisten profitierten besonders von armen Analphabeten, die sich von ihnen materielle Hilfe versprechen, aber keine Christenhasser sind. Zwischen Christen und Muslimbrüdern gibt es mehr Kooperation, als es im Westen den Anschein haben mag. Als jüngst bei uns ein Priester ermordet wurde, haben sie sich klar auf unsere Seite gestellt. Ich habe keine Angst vor ihnen, man sollte ihnen eine Chance geben.



KNA: Und was ist mit ihrer Forderung nach Einführung der Scharia?

Kyrillos: Ich glaube nicht, dass die Muslimbrüder als Regierungspolitiker alles durchsetzen, was sie in der Opposition gefordert haben. Eine Scharia saudischer Art würde die politische und wirtschaftliche Entwicklung Ägyptens - also die eigentlichen Ziele der Revolution - gefährden. Deshalb wird sie auch nicht kommen.



KNA: Viele Christen teilen ihren Optimismus offenbar nicht. Zehntausende haben seit der Revolution das Land verlassen.

Kyrillos: Diese Menschen gehen vor allem aus wirtschaftlichen Gründen. Viele wollten schon lange auswandern, sie wollen eine bessere Zukunft für ihre Kinder. Daneben gibt es in der Tat auch Angst vor der politischen Zukunft. Wir als Kirche müssen versuchen, diese Ängste zu beruhigen. Jetzt sollte man zunächst mal abwarten, wie am Ende die neue Verfassung aussehen wird. Bestimmt wird das Militär einige Privilegien behalten, vieles ist noch ungewiss, aber sicher ist: Gott liebt Ägypten und die Ägypter!



Das Interview führte Christoph Schmidt.