Militärbischof Dr. Martin Dutzmann zu den Leichenschändungen in Afghanistan

"Das fünfte Gebot gilt uneingeschränkt"

Nach der Leichenschändung durch US-Soldaten in Afghanistan stellen für Christen sich einmal mehr Fragen nach der ethischen Bildung der Soldaten und der inneren Führung der Truppen. Im domradio.de-Interview sucht der evangelische Militärbischof Dr. Martin Dutzmann nach Erklärungen.

Afghanistan: Mangelt es den Soldaten an "Innerer Führung"? (DR)
Afghanistan: Mangelt es den Soldaten an "Innerer Führung"? / ( DR )

domradio.de: Moralische Werte werden durch solche Entgleisungen bis ins Mark erschüttert. Wie kommt es zu so einer Tat, die selbst in einem Krieg nochmal einen draufsetzt?

Dr. Martin Dutzmann: Ich denke, dass die Situation des Krieges, die Situation des Tötens und des getötet Werdens, des Verletzens und des verletzt Werdens, sicherlich dazu beiträgt, dass Menschen ins Rutschen kommen können. Es ist einfach eine sehr gefährliche Situation, in die Menschen dort gesetzt werden. Insofern glaube ich, dass die Situation des Krieges dazu beiträgt, dass Soldaten so etwas tun. Was sie natürlich nicht dürfen.



domradio.de: Die weltweite Empörung über das Video ist natürlich nachvollziehbar. Aber schwingt bei dieser Empörung nicht auch Heuchelei mit? Warum ruft so eine Tat offenbar vielmehr Ekel hervor, als der Krieg an sich?

Dr. Martin Dutzmann: Das hat sicher damit zu tun, dass ein Tabu gebrochen wird. Entsetzlicherweise hat es ja Kriege immer gegeben und gibt es bis zum heutigen Tage. Wir selbst sind ja nun in einen solchen Krieg verstrickt in Afghanistan. Aber hier ist ein Tabu gebrochen, nämlich, dass mit toten Menschen in einer Weise verfahren wird, respektlos verfahren wird, wie das nicht sein darf. Ich glaube, dass ist der Punkt, weshalb die Menschen mit Recht so aufschreien, ich tue das auch.



domradio.de: Du sollst nicht töten - ist dieses Gebot in Kriegszeiten aufgehoben?

Dr. Martin Dutzmann: Natürlich nicht. Dieses Gebot gilt uneingeschränkt und es wäre fatal, wenn das nicht so wäre. Es hat leider auch einmal in der evangelischen Theologie die Theorie gegeben, dieses Gebot in Kriegszeiten für aufgehoben zu erklären. Aber wer sagt denn das? Nein, es gilt uneingeschränkt! Jedes Töten eines Menschen ist und bleibt Schuld. Da geht überhaupt kein Weg dran vorbei! Und unsere Soldaten sind diejenigen, die das am besten wissen.



domradio.de: Meinen Sie denn, diese Entgleisungen sind ein besonderes Problem der US-Armee? Oder ist das eine Begleiterscheinung jedes Krieges, die auch in der Bundeswehr vorkommen kann?

Dr. Martin Dutzmann: Seit 2006, seit diesem entsetzlichen Vorfall, wo Bundeswehrsoldaten mit Totenschädeln vor der Kamera posierten bin ich jedenfalls vorsichtig und sage nicht, so etwas könne bei der Bundeswehr niemals passieren. Aber, ich glaube wir haben bei der Bundeswehrt doch einige Sicherungen eingebaut. Die eine ist sicherlich die Philosophie der inneren Führung, die gut funktioniert. Insofern bin ich an diesem Punkt sehr zuversichtlich. Und es ist ja inzwischen so, dass die Bundeswehr erkannt hat, dass, was Ethik betrifft, nachgelegt werden muss. So gibt es heute, das gab es 2006 noch nicht, den verpflichtenden Berufsethischen Unterricht für alle Soldatinnen und Soldaten. Insofern kann ich nicht sagen, dass könne niemals bei der Bundeswehr passieren, natürlich kann das passieren. Aber ich bin zuversichtlich, dass es nicht geschieht.



domradio.de: Was kann künftig Soldaten von solchen menschenverachtenden Taten abschrecken?

Dr. Martin Dutzmann: Ich denke, dass der Weg, der jetzt bei der Bundeswehr eingeschlagen worden ist, ethische Bildung und noch einmal ethischen Bildung, am Ende der Weg ist, den wir gehen müssen. Es geht ja weniger um Abschreckung, als darum, Gewissen zu schaffen und den Soldatinnen und Soldaten sehr deutlich ins Gewissen zu sprechen, was vertretbar ist und was nicht vertretbar ist. Das ist der Weg, auf dem wir sind, und der scheint mir auch gut zu sein.



domradio.de: Geht man so weit zu sagen: Töten ist in Ordnung, aber ein Schänden der Leiche ist nicht in Ordnung?

Dr. Martin Dutzmann: Nein, ich glaube, ich habe das vorher ganz deutlich gesagt: Töten ist nicht in Ordnung! Sondern: Es kann Situationen geben, wo es keinen anderen Ausweg gibt, als zu töten, um Schlimmeres zu verhindern. Das Schänden einer Leiche ist aber garantiert niemals in Ordnung.



domradio.de: Durch die Veröffentlichung des Videos wird jetzt der Einsatz für die internationalen Truppen in Afghanistan noch schwieriger. Der Hass gegen die fremden Militärs im Land wird zunehmen, davon sind Experten überzeugt. Sehen Sie das auch so?

Dr. Martin Dutzmann: Das sehe ich auch so. Natürlich, denn es ist jetzt gerade eine sehr sensible Situation im Augenblick, wo vor allen Dingen die USA sich doch langsam dem Gedanken geöffnet haben, mit den Taliban in Gespräche zu kommen über einen Frieden in diesem Land. Da geht auch gar kein Weg dran vorbei. Und dann ist natürlich ein solches Video Gift.



Das Interview führte Aurelia Plieschke.



Hintergrund

Nach der Leichenschändung durch US-Soldaten in Afghanistan haben deutsche Außen- und Sicherheitspolitiker vor gefährlichen Folgen und Problemen für die Bundeswehr gewarnt. Die Tat schade deutschen Sicherheitsinteressen in Afghanistan und bringe die Truppen aller Verbündeten in Gefahr, sagte der außenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Rainer Stinner im Gespräch mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Samstag).



Er sei tief erschüttert, sagte Stinner. "Die Soldaten haben unser westliches Wertesystem mit Füßen getreten." Der Anblick des Videos erfülle ihn mit Abscheu und Entsetzen. "Der Vorgang ist völlig inakzeptabel und zeigt die Verrohung der Sitten bei Teilen der US-Armee." Gespräche mit den Taliban würden unnötig erschwert.



Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold sprach von einem "traumatischen" Ereignis. "Auch die Bundeswehr ist gegen ein solches Fehlverhalten einzelner nicht immun", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung". "Deshalb müssen die Vorgesetzten stets dafür sensibilisiert werden, darauf zu achten, wenn die harten Einsätze einen Menschen psychisch verändern." Es würden die massiven Vorurteile in Afghanistan bestätigt, dass der Westen keinen Respekt vor den Menschen dort habe. "Die Bundeswehr sehe ich nicht direkt in Gefahr, aber der Einsatz aller Isaf-Truppen wird dadurch schwieriger", so Arnold.