Bischof Mussinghoff zum internationalen Bischofstreffen in Jerusalem

Mehr als heilige Steine

Christen im Heiligen Land brauchen mehr Solidarität, zu diesem Urteil kommt Bischof Heinrich Mussinghoff nach einem internationalen Bischofstreffen in Jerusalem. Er rate deutschen Pilgern im Nahen Osten, "nicht nur die heiligen Steine zu besuchen, sondern auch die Menschen". Im domradio.de-Interview spricht der Aachener Bischof auch über die Auswirkungen des Arabischen Frühlings auf die Krisenregion.

 (DR)

domradio.de: Im Heiligen Land leben etwas mehr als 150.000 Christen. Wie ist die Lage der Christen in Israel und den palästinensischen Gebieten dort Ihrer Ansicht nach, Sie haben sie ja jetzt getroffen?

Bischof Mussinghoff: Ja, es ist schwierig. Der Besuch, den wir ja jedes Jahr machen, dient ja dazu, den Christen im Land unsere Solidarität zu bezeugen. Sie wissen, der Anteil der Christen ist bis auf zwei Prozent herabgesunken, und die einheimischen Christen verlassen auch das Land. Da gibt es aber auch eine gegenläufige Bewegung, dass eben Christen aus anderen Ländern, die als Arbeitskraft ins Land kommen, zum Beispiel die Philippiner, die beliebte Pflegekräfte und Haushaltshilfen sind. Oder auch aus den afrikanischen Staaten. Menschen, die keine Lebenschance dort mehr für sich sehen und hier ins Land kommen. Das sind dann Christen, die nicht in die arabische Gesellschaft reinwachsen, sondern eher in die jüdische Gesellschaft. Und das stellt die Christen hier im Land noch einmal vor das Problem, wie denn die Integration der Jugend in den christlichen Glauben in die katholische Kirche gelingen kann. Da müssen wir etwas tun für die Ausbildung etwa der Katecheten.



domradio.de: Da gibt es also schon ganz gute Ansatzpunkte. Welche sehen Sie da noch?

Mussinghoff:  Die zweite Gefährdung besteht darin, dass es hier teuer ist Häuser zu bauen, zu kaufen, zu mieten. Das ist für Christen, die meist in den unteren Einkommensgruppen sind, einfach unerschwinglich. Und das bewirkt eben, dass sie abwandern. Also überlegen die Kirchen hier, wie sie Häuserprogramme machen können. Das ist natürlich ein teures und schwieriges Unternehmen und auch noch nicht ganz ausgereift.  



domradio.de: Dem Papst ist ja auch Ökumene wichtig, der interreligiöse Dialog mit den orthodoxen Christen, mit dem Judentum. Gab es da auch Treffen?

Mussinghoff: Ja, wir waren vorgestern in Haifa und dann in Ibillin, wo Erzbischof Elias Shakur eine große Schule errichtet hat, die auch universitäre Zweige hat und da waren dann Muslime, Drusen, Juden, Bahai eingeladen, und es war ein buntes Gemisch der Religionen. Natürlich war das kein gezieltes Religionsgespräch, aber einfach ein Treffen und ein freundliches Miteinander. Auch das sind wichtige Zeichen der Verbundenheit.  



domradio.de: Welche Friedensperspektive sehen Sie für den Nahen Osten?

Mussinghoff: Im Moment herrscht hier Lethargie. Sie wissen ja um den sogenannten arabischen Frühling, der immer mehr mutiert zu einem arabischen Herbst oder gar Winter. Es ist völlige Unsicherheit, was diese arabischen Revolutionen für Israel, für den Staat bedeuten und damit natürlich auch für die Christen, die hier im Land wohnen. Und für die Muslime eben auch. Das ist eine schwierige Situation und ich habe eigentlich auch nirgendwo, weder bei den Kirchen, noch bei den staatlichen Stellen, die wir besucht haben, bemerken können, dass da ein aktives Zugehen auf diese Situation ist, obwohl es eigentlich Verbindungen gibt. Zum Beispiel ist der Erzbischof von Tunis gebürtig aus Haifa. Insofern gibt es Verbindungen. Es gibt so eine Grundnachricht: Was heute aus den Revolutionen wird, wissen wir nicht. Aber die Jugend wird sich auf Dauer nicht mit den Diktaturen und ähnlichen Gebilden, wie sie jetzt entstehen mögen, zufrieden geben. Von daher ist die Friedensfrage sehr schwierig. Hier im Land gibt es natürlich auch noch das leidige Siedlerproblem. Da gibt es hier immer aggressivere Töne, die sich auch gegen die eigene israelische Regierung richten.  



domradio.de: Lethargie ist so die politische Grundstimmung im Moment im Land, haben Sie gerade ausgeführt. Jetzt konnten Sie sich die vergangenen Tage Lethargie auf gar keinen Fall leisten, denn sie hatten ein volles Programm seit Sonntag in Jerusalem, in Israel. Was nehmen Sie mit?

Mussinghoff: Ich nehme mit, dass wir diese Solidarität auch wirklich leben müssen und in kleinen Projekten helfen können und müssen, das ist wichtig. Wesentlich ist einfach diese Zuwendung, die notwendig ist und eben der Wunsch und der Rat an viele Gemeinden, die ja Pilgerreisen nach Israel machen, nicht nur die Heiligen Steine zu besuchen, sondern auch die Menschen, die heilig werden wollen im Land.  



domradio.de: Nicht nur die Heiligen Steine besuchen, sondern auch die Menschen, die im Land heilig werden wollen. Heute geht das Internationale Bischofstreffen in Jerusalem zu Ende. Und von deutscher Seite hat der Aachener Bischof Dr. Heinrich Mussinghoff an der Konferenz teilgenommen. Herr Bischof Mussinghoff- vielen Dank für das Gespräch. Und gute Rückreise.  



Das Interview führte Susanne Becker-Huberti (domradio.de)



Hintergrund

Mit einem Aufruf zu Toleranz haben katholische Bischöfe aus aller Welt ihr 13. internationales Solidaritätstreffen im Heiligen Land beendet. Vorraussetzung für dauerhaften Frieden sei das Recht beider Völker, in Sicherheit und innerhalb international anerkannter Grenzen in souveränen Staaten zu leben, heißt es in der am Donnerstag in Jerusalem veröffentlichten Schlussbotschaft. "Wir machen uns die Überzeugung zu eigen: Pro-israelisch zu sein muss heißen, pro-palästinensisch zu sein", so die Bischöfe.



Die Bischöfe begrüßten die Rückkehr der Konfliktparteien an den Verhandlungstisch und betonten die Dringlichkeit einer Verhandlungslösung. Beide Seiten riefen sie zu Toleranz und mutiger Führerschaft auf, damit der Dialog nicht durch Extremismus und Intoleranz gefährdet werde. "Besatzung und Unsicherheit, Angst und Frustration dominieren das Leben der Menschen in diesem Land", heißt es weiter. Trotz der gravierenden Probleme seien jedoch auch Hoffnungszeichen auszumachen, etwa die wachsende Zahl von Pilgern, Projekte interreligiöser Zusammenarbeit sowie die Wohnungsbauprojekte des Lateinischen Patriarchats in Jerusalem und der Kustodie der Franziskaner.



Fortschritte gibt es nach Angaben der Bischöfe auch in den langjährigen Verhandlungen zwischen dem Heiligen Stuhl und Israel.

Im Streit um den Abendmahlssaal auf dem Jerusalemer Zionsberg zeichne sich ein Verhandlungsfortschritt ab, erklärte der Bischof von Nazareth, Patriarchalvikar Giacinto-Boulos Marcuzzo. Ein noch nicht endgültig verabschiedeter Lösungsentwurf sehe vor, dass der Franziskanerorden das umfassende Nutzungsrecht des Abendmahlssaals erhalte, der sich in staatlicher Hand befindet; dort könnten dann wieder Gottesdienste gefeiert werden.



Der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Erzbischof Fouad Twal, zeigte sich zufrieden mit dem Treffen, das in diesem Jahr "optimistischer und realistischer" gewesen sei. Zugleich äußerte er den Wunsch, die Weltkirche möge sich aktiver für die Belange der Christen im Heiligen Land engagieren. Konkret regte Twal an, jede Diözese möge eine Unterkunft für eine christliche Familie im Heiligen Land finanzieren als aktiven Beitrag gegen die Abwanderung der Christen. Denkbar seien auch Partnerschaften mit Pfarreien im Heiligen Land sowie für Stipendien.



An dem Treffen unter Vorsitz Twals nahmen die Bischöfe und Erzbischöfe Peter Bürcher (Reykjavik), Michel Dubost (Evry), Patrick Kelly (Liverpool), William Kenney (Birmingham), Richard Smith (Edmonton/Kanada) und Joan-Enric Vives (Urgell/Spanien) teil. Aus Deutschland war der Aachener Bischof Heinrich Mussinghoff vertreten.