Leiter des Theologisch-Zoologischen Instituts zum neuen Fleischskandal

Eine "unheilige Allianz"

In der Diskussion um eine gesetzliche Einschränkung der Anwendung von Antibiotika in der Tiermast fordern Tierschützer eine Reform der Tierhaltung. Im Interview mit domradio.de beklagt Dr. Rainer Hagencord, Leiter des Theologisch-Zoologischen Instituts in Münster, eine "unheilige Allianz" von Fleisch- und Pharmaindustrie und appelliert an alle Christen, Tiere als Teil der Schöpfung zu achten.

Fleischtheke: Sieht man noch die Kreatur hinter dem Produkt? (DR)
Fleischtheke: Sieht man noch die Kreatur hinter dem Produkt? / ( DR )

domradio.de: Keime auf Geflügelfleisch, Dioxin in Eiern, Gammelfleisch. Warum hören diese Fleischskandale nicht auf?

Dr. Rainer Hagencord: Diese Frage stelle ich mir auch immer mehr! Es sieht ja so aus, dass diese Nachrichten nicht enden. Es ist nicht mehr die Frage, ob wieder ein neuer Skandal kommt, sondern wann. Dennoch wird das Fleisch weiter gekauft. Ich vermute, dass dahinter eine gewisse Vergessenheit der Menschen steht, die Hühner, Puten, Rinder und Schweine gar nicht mehr zu den Tieren rechnen, sondern als Fleischprodukte wahrnehmen. Und zugleich aber auch eine Politik, die ja ganz stark von der Lobby der Fleisch- und Pharmaindustrie geprägt ist, die ja am meisten an diesen unhaltbaren Verhältnissen verdient.



domradio.de: Die Berichterstattung über skandalöse Tierhaltung hat ja eher zugenommen, aber offenbar ist auch das nicht abschreckend genug. Warum schaffen es trotzdem viele Menschen, vielleicht sogar der überwiegende Teil der Verbraucher, die Augen fest zu zumachen, wenn es um ihren Fleischgenuss geht?

Dr. Rainer Hagencord: Wenn Sie hier im Münsterland unterwegs sind, sehen Sie keine Scheune, keine Hühner und keine Puten mehr. Die Tiere sind verschwunden, und es wächst eine Generation heran, in der die Tiere tatsächlich kein Gesicht mehr haben. Kinder und Jugendliche sehen nur noch dieses fein verpackte Fleisch. Dann gibt es vielleicht mal einen Beitrag, da erschreckt man sich, aber das ist dann ganz schnell wieder vergessen. Denn dieses Fleisch wird überhaupt nicht mehr im Zusammenhang mit lebendigen Tieren gesehen, die Gefühle, soziale Kompetenz und, wenn ich als Theologe rede, auch immer noch mit einer Würde ausgestattet sind. Sie sind und bleiben Geschöpfe und werden niemals unsere Produkte sein.



domradio.de: "Ich esse nicht mehr so viel Fleisch, ich esse nur noch Geflügel" Das sagen manche, die Ihren Fleischkonsum einschränken wollen. Sind Tiere mit Flügeln denn keine richtigen Tiere?

Dr. Rainer Hagencord: Das ist eine verrückte Frage! Als Biologe kann ich sagen, dass Hühner und Puten natürlich mit einer sozialen Kompetenz ausgestattet sind, dass sie eine Intelligenz haben. Ein Huhn, das sich in einem Sozialsystem einfinden muss, braucht sogar ein Wissen um sich selbst, um die Rolle zu entdecken, die es da hat. Dass sie über Gefühle verfügen, dass sie auch Denkleistungen an den Tag legen, das steht außer Frage! Und verrückt ist ja: Ich habe sehr viel mit der tiergestützten Pädagogik und Therapie zu tun, und da kommen Hühner und andere Vögel zum Einsatz, während zeitgleich einige Meter weiter der Hühner- und Putenmastbetrieb steht, in dem genau die gleichen Tiere behandelt werden, als wären es seelenlose Automaten.



domradio.de: Über Hühner sagt man ja auch, dass sie besonders dumm sind, und dass es ihnen deswegen nicht so viel ausmachen soll, wenn sie nicht artgerecht gehalten werden.

Dr. Rainer Hagencord: Dumm ist da der völlig falsche Begriff. Wenn wir natürlich immer nur unseren Intelligenzbegriff auf ein Tier legen, ist wahrscheinlich jedes Tier irgendwann dumm. Die Frage ist eher, wer ist eigentlich die dümmere Art? Die, die den Planeten an den Rand bringt, oder die, die in diesem Ökosystem immer noch überlebt?



domradio.de: Bleiben wir nochmal beim aktuellen Fleischskandal. Warum wird denn in der Geflügelzucht überhaupt so viel Antibiotika eingesetzt?

Dr. Rainer Hagencord: Die normalen Bedürfnisse der Tiere kommen ja kaum zum Tragen in diesen riesigen Tierfabriken. Das trägt zu Aggressionen bei den Tieren bei. Die Tiere verletzen sich gegenseitig und da muss man ganz schnell mit Antibiotika eingreifen, um das Fleisch auf den Markt bringen zu können. Und da gibt es eben diese unheilige Allianz zwischen Fleisch- und Pharmaindustrie. Letztere verdient an diesen bedenkenlosen Zugaben von Antibiotika Milliarden! Ich bin froh, dass der BUND die Dinge jetzt noch einmal offen gelegt hat.



domradio.de: Was können wir denn tun?

Dr. Rainer Hagencord: Der erste Schritt  ist tatsächlich, beim Einkauf zu schauen, woher kommt das Fleisch und welche Art von Tierhaltung möchte ich unterstützen. Das zweite: Was halte ich denn von dem Stuckwort Bewahrung der Schöpfung, wenn ich das auf den Lippen führe, was ja viele Christinnen und Christen Gottseidank tun. Dann muss ich mir doch klar machen, dass auch weiterhin diese Tiere mit Teil der Schöpfung sind und das ich als Christ sie wenn ich sie als Mitgeschöpfe wahrnehme, da auch eine Verantwortung habe, die in meiner Spiritualität und Frömmigkeit doch eine zentrale Stelle einnehme müsste und mich ja auch ebenso als Geschöpf Gottes verstehe wie eine Huhn und eine Pute. Von der Bibel her sind sowohl die Tiere als auch die Menschen Bündnispartner Gottes!



Das Interview führte Uta Vorbrodt.



Hintergrund

In der Diskussion um eine gesetzliche Einschränkung der Anwendung von Antibiotika in der Tiermast hat der Deutsche Tierschutzbund eine Reform der Tierhaltung gefordert. Deutschland brauche einen grundlegenden Systemwechsel mit kleineren Beständen und einer tiergerechten Haltung, erklärte der Verband am Dienstag in Bonn. Zwar sei es gut, dass Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) nun handeln wolle. Wenn sie sich aber nur auf Gesetze zur Begrenzung der Medikamentenbeigaben konzentriere, ignoriere sie die eigentliche Ursache.



Die nachgewiesenen Belastungen mit Antibiotika bei Geflügel sind nach Ansicht der Tierschützer ein deutliches Signal, dass die Tiere in Intensivtierhaltungen stark belastet sind und leiden. Die vielfach als besonders hygienisch gelobte, aber tierfeindliche Intensivtierhaltung sei nicht der richtige Weg. Vielfach würden prophylaktisch Medikamente verabreicht, weil bekannt sei, dass die Tiere zusammengepfercht in riesigen Tierhaltungsanlagen die kurze Mastdauer sonst nicht überstünden.



Die Bundesregierung möchte den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung einschränken. Noch in dieser Woche will Landwirtschaftsministerin Aigner den Ländern nach eigenen Angaben einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen. Ziel sei es, den Einsatz von Medikamenten auf das zur Behandlung von Tierkrankheiten absolut notwendige Maß zu beschränken, hatte Aigner am Montag in Berlin erklärt. Zudem sollen die Befugnisse der Kontrollbehörden in den Ländern deutlich erweitert werden.



Umweltverbänden und den Grünen geht der Gesetzentwurf nicht weit genug. Sie verlangten von Aigner ein konsequenteres Vorgehen gegen die industrielle Fleischproduktion. Laut einer neuen Studie des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) ist Hähnchenfleisch aus deutschen Supermärkten und Discountern häufig mit antibiotikaresistenten Keimen belastet. Diese könnten bei anfälligen Menschen zu schweren Erkrankungen bis hin zu Todesfällen führen, hieß es.



Das Institut für Theologische Zoologie setzt sich zum Ziel, das Verhältnis des Menschen zum Tier als Brennpunkt der Theologie und als Vollzug einer schöpfungsgemäßen Spiritualität zu begreifen. --
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Dr. Rainer Hagencord und Dr. Anton Rotzetter haben das "Institut für Theologische Zoologie" (GbR) im Frühjahr 2008 gegründet. Das Institut hat im Herbst 2009 den Status eines An-Institutes an der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Kapuziner in Münster (PTH) erhalten.