Sprecher des Koordinationsrates der Muslime zu Erwartungen der Muslime 2012

"Der Staat muss sich an die religiöse Vielfalt anpassen"

Die islamischen Verbände in Deutschland streben weiter nach der Anerkennung als Religionsgemeinschaft. Faktisch seien sie es schon jetzt, sagte der Sprecher des Koordinationsrates der Muslime, Bekir Alboga. Im Interview spricht er über die Erwartungen der Muslime im neuen Jahr.

 (DR)

KNA: Herr Alboga, 2012 werden erstmals islamische Theologen, Imame und Religionslehrer an vier deutschen Universitätsstandorten ausgebildet, Nordrhein-Westfalen beginnt als erstes Bundesland mit flächendeckendem Religionsunterricht für Muslime. Wird es ein historisches Jahr für den Islam in Deutschland?

Alboga: So weit würde ich nicht gehen. Die Entwicklung der islamischen Ausbildung an Schule und Universität ist gut. Ich rechne damit, dass 2012 auch Hessen, Niedersachsen, Hamburg und Bremen den Weg für islamischen Bekenntnisunterricht an den Schulen freimachen. Letztlich passt sich der deutsche Staat aber nur an eine Wirklichkeit an, die seit Jahren existiert. Dieser Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen.



KNA: Hat die Förderung islamischen Bekenntnisunterrichts die von den Verbänden ersehnte Anerkennung als Religionsgemeinschaft näher gebracht?

Alboga: Bisher gibt es nur das Provisorium der Beiräte, in denen Muslime über Lehrpersonal und Lehrpläne lediglich mitentscheiden dürfen. Wir haben immer gesagt, dass dies nur eine Übergangslösung sein darf. Solange das klar ist, machen wir mit. Faktisch sind die vier Islamverbände, die im Koordinierungsrat der Muslime (KRM) zusammengeschlossen sind, längst Religionsgemeinschaften. Der Staat sitzt beim Thema Bildung mit uns am Tisch. Auch die Zusammenarbeit der Verbände untereinander ist enger geworden. Wir haben auch einen gemeinsamen Lehrplan erarbeitet. Es fehlt nur noch die juristische Anerkennung als Religionsgemeinschaft.



KNA: Das Staatskirchenrecht ist da streng: Es muss unter anderem klar sein, wer genau dazugehört, während dem Islam eine umfassende Registrierung aller Gläubigen ähnlich dem Taufregister fremd ist. Außerdem vertreten die Verbände laut Schätzungen nur etwa ein Fünftel aller Muslime in Deutschland.

Alboga: Die Verbände im KRM repräsentieren über 2.300 der 2.500 Moscheegemeinden in Deutschland, also die große Mehrheit der praktizierenden Muslime. Oft ist nur der Familienvater eingetragenes Mitglied in einem Verein, wobei natürlich die ganze Familie am religiösen Leben der Gemeinde teilnimmt. Aus unserer Sicht sollte nicht vom Islam verlangt werden, dass er sich an ein altes, auf die Kirchen zugeschnittenes Recht anpasst. Der Staat sollte seine Gesetze an der religiösen Pluralität in Deutschland ausrichten. Immerhin leben Muslime seit 50 Jahren hier. Eine Gleichstellung mit den Kirchen würde ihre emotionale Bindung an Deutschland stärken.



KNA: Sind Sie darüber enttäuscht, dass die Kirchen bisher eher skeptisch darauf reagieren?

Alboga: Von den Kirchen wünschen wir uns in der Tat mehr Unterstützung. Eine Anerkennung des Islam als Religionsgemeinschaft wäre für sie ja keine Gefahr. Aber ich sage auch, dass der Umgang mit den Kirchen immer enger geworden ist.



KNA: Inwiefern?

Alboga: Ein wichtiges Symbol für uns Muslime war das Treffen mit dem Papst bei seinem Deutschlandbesuch im September. Das war ein Zeichen der Wertschätzung. Damals habe ich dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, regelmäßige Begegnungen zwischen KRM- und Kirchenvertretern vorgeschlagen und ich hoffe, dass es 2012 endlich dazu kommt. Mit den Spitzen der Evangelischen Kirche treffen wir uns voraussichtlich im Mai.



KNA: Worum könnte es bei den Gesprächen gehen?

Alboga: Ein Thema ist der Einsatz für den Wert der Spiritualität und gegen die fortschreitende Areligiosität in der modernen Gesellschaft. Außerdem sind die Kirchen wichtige Partner im Kampf gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Insgesamt sollte es darum gehen, gemeinsam eine Anerkennungs- und Respektkultur zwischen Christen und Muslimen zu vertiefen.



KNA: Wie stark sind denn die Nachwirkungen der rechtsextremen Mordserie unter Muslimen?

Alboga: In den Gemeinden gibt es eine diffuse Angst und ein gestörtes Vertrauensverhältnis zu den entsprechenden Sicherheitsorganen, vor allem, weil noch viel aufzuklären bleibt. Ich bin zuversichtlich, dass dies 2012 geschieht und entschlossene Maßnahmen gegen den Rechts-Terrorismus ergriffen werden. Aber es geht auch um ein tolerantes Bewusstsein in der Mitte der Gesellschaft, wo viel versteckte Fremdenfeindlichkeit herrscht.



KNA: Ein wichtiges Zeichen der Integration soll die Eröffnung der Kölner Ditib-Zentralmoschee im Sommer 2012 werden. Stattdessen sorgt der Streit zwischen Ihrem Verband und dem gekündigten Architekten Paul Böhm für Schlagzeilen. Was wird aus dem Projekt?

Alboga: Der Bau geht weiter und wir sind zuversichtlich, dass die Eröffnung zur Mitte des Jahres 2012 - wie bereits angekündigt - erfolgt. Die gravierenden Fehler am Rohbau sind mit bloßem Auge festzustellen und natürlich zu beseitigen. Was die Innenarchitektur angeht, besteht mit Böhm ohnehin kein Vertrag. All dies kann und wird an der Offenheit und Gestaltung des Baus und der darin beheimateten Dienstleistungen und Einrichtungen nichts ändern.



Das Interview führte Christoph Schmidt.



Hintergrund:

Nach Ansicht der katholischen Fachstelle für den Dialog mit den Muslimen fehlt dem Islam in Deutschland die nötige Organisationsform für die Anerkennung als Religionsgemeinschaft. Auch der größte muslimische Dachverband in Deutschland, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religionen (Ditib) käme einstweilen dafür nicht in Frage, erklärte der Leiter des "Christlich-Islamischen Begegnungs- und Dokumentationszentrums" (Cibedo), Peter Hünseler, domradio.de. Zwar stelle die moderate und positive Haltung der Ditib zum deutschen Staat und dem Grundgesetz ein Plus dar. Aber es handele sich um einen Ableger der staatlichen Religionsbehörde in der Türkei. "Und ein staatliches Ministerium kann einfach keine Religionsgemeinschaft sein", so Hünseler.



Auch der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, Pater Hans Langendörfer, spricht sich im Grundsatz für eine rechtliche Gleichstellung der muslimischen Gemeinschaften in Deutschland mit den Kirchen aus. Grundsätzlich sei dies wünschenswert, erklärte er in der in Berlin erscheinenden "tageszeitung". Dazu brauche es aber "noch eine Reihe notwendiger Klärungen für die islamischen Gemeinschaften, die sich auf diesen Weg begeben wollen".



Langendörfer nannte als einige der notwendigen Elemente einer Religionsgemeinschaft eine geordnete Mitgliedschaft, religiöse Auskunftsfähigkeit und die organisatorische Verbundenheit der Angehörigen der Gemeinschaft. Diesbezüglich werde von den muslimischen Gemeinschaften noch einiges verlangt. Auf jeden Fall sei der Status einer "Körperschaft des öffentlichen Rechts" jedoch kein Exklusivrecht der Kirchen.