Debatte um Bundespräsident Wulff geht weiter

Kein Befreiungsschlag

Im Fernsehinterview versprach Bundespräsident Christian Wulff Transparenz. Eine Veröffentlichung seiner umstrittenen Mailbox-Nachricht an "Bild"-Chef Kai Diekmann indes geht ihm zu weit.

 (DR)

Bundespräsident Christian Wulff steht weiter unter Druck. Einen Tag nach seinem Fernsehinterview mit ARD und ZDF lieferte er sich einen öffentlichen Schlagabtausch mit "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann. Dabei beharrte Wulff ungeachtet zahlreicher Forderungen nach mehr Transparenz auf Vertraulichkeit seiner umstrittenen Nachricht auf der Mailbox Diekmanns. Zuvor waren Zweifel an Wulffs Darstellung laut geworden, dass er mit dem Anruf nur den Aufschub einer kritischen Berichterstattung erreichen und diese nicht gänzlich verhindern wollte.



Diekmann hatte den Präsidenten am Donnerstagvormittag in einem öffentlichen Brief um Zustimmung für eine Veröffentlichung gebeten und zugleich "mit Verwunderung" auf Wulffs Aussagen im Fernsehinterview vom Mittwochabend reagiert. Dort hatte der Bundespräsident gesagt, es sei bei dem Anruf nicht darum gegangen, die Berichterstattung zu seinem umstrittenen Hauskredit zu verhindern, sondern nur um einen Tag zu verschieben.



Der stellvertretende "Bild"-Chef Nikolaus Blome hatte Wulffs Darstellung bereits am Mittwochabend im Deutschlandfunk widersprochen. "Es war ein Anruf, der ganz klar das Ziel hatte, diese Berichterstattung zu unterbinden", sagte er über die umstrittene Nachricht auf Diekmanns Mailbox.



Diekmann schrieb, um Missverständnisse auszuräumen, halte die "Bild"-Zeitung es für notwendig, den Wortlaut der Nachricht zu veröffentlichen. Sie wolle dies aber nicht ohne Wulffs Zustimmung tun.



Wulff antwortete am Nachmittag: "Die in einer außergewöhnlich emotionalen Situation gesprochenen Worte waren ausschließlich für Sie und für sonst niemanden bestimmt." Nach einer persönlichen Entschuldigung seinerseits, die Diekmann angenommen habe, sei die Sache "zwischen uns erledigt" gewesen. "Dabei sollte es aus meiner Sicht bleiben", schrieb Wulff.



Daraufhin erklärte der Sprecher des Springer-Verlages, Tobias Fröhlich: ""Bild" veröffentlicht den Wortlaut nicht." In einer kurzen Stellungnahme der "Bild"-Chefredaktion hieß es: Die Redaktion bedauere die Entscheidung des Präsidenten. "Damit können die im Zusammenhang mit dem Fernsehinterview des Bundespräsidenten entstandenen Unstimmigkeiten, was das Ziel seines Anrufes angeht, nicht im Sinne der von ihm versprochenen Transparenz aufgeklärt werden", hieß es.



Der Bundespräsident hatte in seinem Schreiben an Diekmann hinzugefügt, es erstaune ihn, dass die Nachricht auf der Mailbox über andere Presseorgane den Weg in die Öffentlichkeit gefunden hat: "Es stellen sich grundsätzliche Fragen zur Vertraulichkeit von Telefonaten und Gesprächen. Hier haben die Medien ihre eigene Verantwortung wahrzunehmen."



Wulff hatte im gemeinsamen Fernsehinterview von ARD und ZDF gesagt, der Anruf bei "Bild"-Chefredakteur Diekmann tue ihm leid, das sei ein "schwerer Fehler" gewesen. Er habe aber nur darum gebeten, die Berichterstattung um einen Tag zu verschieben, "damit man darüber reden kann, damit sie sachgemäß ausfallen kann".



Wulff war auf einer Auslandsreise in der Golfregion, als die "Bild"-Zeitung am 13. Dezember erstmals über seinen umstrittenen Privatkredit berichtet hatte. Wulff hatte 2008 als niedersächsischer Ministerpräsident von dem befreundeten Unternehmerpaar Egon und Edith Geerkens einen Kredit von 500.000 Euro erhalten.



Insgesamt 11,5 Millionen Zuschauer sahen am Mittwochabend das Fernsehinterview von Bundespräsident Wulff bei ARD und ZDF. 8,04 Millionen Menschen sahen ab 20.15 Uhr im Ersten zu, wie die ARD mitteilte. Beim ZDF waren es nach Senderangaben 3,45 Millionen. Zusammen erreichten die beiden Sender einen Marktanteil von 33,9 Prozent.



Am Donnerstagvormittag veröffentlichten Wulffs Anwälte eine zusammenfassende Stellungnahme zu Medienanfragen an den Bundespräsidenten, bei denen es in den vergangenen Wochen unter anderem um den Privatkredit sowie Urlaubsaufenthalte des Ehepaars Wulff bei befreundeten Unternehmern ging. Rechtsverstöße habe man nicht festgestellt, "Tatbestände der Vorteilsnahme oder Vorteilsgewährung haben sich nicht ergeben", hieß es. Zu dem Anruf bei Diekmann gaben die Anwälte keine Auskünfte und verwiesen auf die Erklärungen des Bundespräsidenten.



Bischof Weber: Jetzt darf nichts mehr kommen

Angesichts der Kredit- und Anruf-Affäre um Christian Wulff sieht der braunschweigische Landesbischof Friedrich Weber den Bundespräsidenten künftig mit besonders hohen Ansprüchen konfrontiert. "Jetzt darf nichts mehr kommen", sagte der evangelische Bischof der "Braunschweiger Zeitung" (Donnerstagsausgabe).



Das Fernsehinterview des Bundespräsidenten vom Mittwochabend kommentierte Weber mit den Worten: "Als Bürger geht es einem an den Nerv, so etwas sehen zu müssen. Mein erster Gedanke war: Was für ein Jammer, dass so ein Gespräch überhaupt nötig ist." Er habe die Situation als "unwürdig" empfunden. Besser wäre ein Gespräch über wichtige Themen wie Integration und die Bankenkrise gewesen. Der Landesbischof sagte aber auch, Wulff habe sich "jetzt zumindest ordentlich erklärt".



"Er hatte die Stärke, zu seinen Schwächen zu stehen"

Der CDU-Politiker Peter Hintze verteidigte den Bundespräsidenten. Im "Kernsachverhalt" deckten sich die Aussagen Blomes und Wulffs, sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium im Deutschlandfunk. Derzeit würden "mit der Lupe Klein- und Kleinstdifferenzen vergrößert". Wulff habe in dem Interview "alle Fragen glaubwürdig beantwortet und er hatte die Stärke, zu seinen Schwächen zu stehen".



Die Privatsender beschwerten sich mit einer Protestnote beim Bundespräsidialamt, weil sie von dem Exklusivinterview zu den Vorwürfen gegen das Staatsoberhaupt ausgeschlossen wurden. Der Chefredakteur des Nachrichtensenders n-tv, Volker Wasmuth, sprach von einer "enormen Benachteiligung". Das 20-minütige Interview, das von den Hauptstadtstudioleitern Ulrich Deppendorf (ARD) und Bettina Schausten (ZDF) geführt wurde, war am frühen Mittwochabend aufgezeichnet worden. Ausschnitte wurden bereits vor der kompletten Ausstrahlung gezeigt.



Gesellschaft gespalten

In den Tagen vor dem Interview war die Zustimmung der Bevölkerung zu einem Verbleib Wulffs im Amt deutlich gesunken. Am Montag war nach einer in Köln veröffentlichten Umfrage des Instituts Infratest dimap im Auftrag der ARD jeder Dritte (34 Prozent) dafür, dass Wulff vom Amt des Bundespräsidenten zurücktreten sollte. Am Mittwoch vor Ausstrahlung des Interviews mit ARD und ZDF war es jeder zweite Befragte.



Ausgangspunkt der Kritik an Wulff war ein Kredit von 500.000 Euro, den er 2008 als niedersächsischer Ministerpräsident von dem befreundeten Unternehmerpaar Egon und Edith Geerkens erhalten hatte. Kurz vor Weihnachten hatte sich Wulff für "Irritationen" in der Kreditaffäre entschuldigt. Nachdem Wulffs Anrufe bei Diekmann sowie Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner bekanntgeworden waren, hatte sich der öffentliche Druck auf den Präsidenten noch einmal deutlich erhöht.



Im Interview mit ARD und ZDF sagte Wulff zum Anruf bei Diekmann, er sei erstaunt gewesen, dass die Veröffentlichung erfolgen sollte, als er im Ausland war. Er habe sich schützend vor seine Familie und Freunde stellen wollen. Zwar sei das keine Entschuldigung für seinen Anruf, "aber vielleicht der Impuls, der dazu geführt hat". Das wiederum sei menschlich, sagte Wulff, räumte aber ein: "Aber man muss eben als Bundespräsident die Dinge so im Griff haben, dass einem das eben nicht passiert. Und trotzdem ist man Mensch, und man macht Fehler."