Bruder Paulus über die Abschiedszeremonie in Nordkorea

Befremdliche Trauerhysterie

Mit einer pompös inszenierten Trauerzeremonie hat Nordkorea von Kim Jong Il Abschied genommen. Bilder von hysterisch Trauernden gingen um die Welt. "Das ist vielleicht ein bisschen "Gaga", aber es ist eine gewisse Volkshysterie, die da entzündet wird", beschreibt im domradio.de-Interview Bruder Paulus das Phänomen. Er sagt auch, dass in unserer Gesellschaft öffentliche Trauer fehle.

 (DR)

domradio.de:  Eine Trauerprozession der Superlative, drei Stunden lang wurde sie in alle Welt übertragen, von Zehntausenden hysterisch trauernden Bürgern war die Rede. Für meine Augen ist das doch eher befremdlich, für Ihre auch?

Bruder Paulus: In meinen Augen ist das erst einmal schön, dass in dieser Weise auch öffentlich getrauert wird. Das fehlt uns in unserer Gesellschaft. Gleichzeitig weiß man natürlich auch von Nordkorea, dass dies alles sehr staatlich gelenkt ist und ein quasi religiöser Kult um einen Führer gemacht wird, damit die Menschen nicht die Fragen stellen, die man in diesem System auch stellen muss.



domradio.de: Vor der Trauerprozession fuhr auf einem Auto ein mehrere Meter hohes Porträt von Kim Jong Il. Große Bilder werden in Rom zum Beispiel bei Heiligsprechungen enthüllt, kann man also vermuten, dass Kim in Nordkorea auch wie ein Heiliger verehrt wird?

Bruder Paulus: Jede Gesellschaft braucht Identitätspunkte und braucht einfach Orte, an denen man sich wieder einfindet und sagt, das waren ganz große Leute. In normalen Gesellschaften kann man sich auf große Führer einigen, aber in kommunistischen Ländern werden Personen hochgehalten, die die Leute das Denken vergessen lassen sollen. Das muss man für Nordkorea ganz einfach so sagen. In diesem Fall ist es also nicht ein Heiligenporträt, sondern es wird den Menschen vor Augen geführt, wem sie zu glauben und zu folgen haben. Sein Sohn ist entsprechend eingeführt worden. Da kann man als Außenstehender sich denken, um Himmels Willen, da wird ein Mensch in eine göttliche Sphäre gehoben und Menschen werden verführt.



domradio.de: Die Trauerfeier und die Beisetzung im Mausoleum sollen die  Diktatur auf ewig in Nordkorea erhalten, wie es heißt. Aber das ist geradezu religiös. Kommen solche Regime nicht ohne diese Rituale und Zeremonien nahe dem Religiösen aus?  

Bruder Paulus: Der Mensch ist natürlich von Grund auf ein religiöses Wesen. Wenn man Religion philosophisch sieht, als eine Rückbindung an etwas Größeres, dann sind diejenigen Systeme, die Gott eliminiert haben, damit sie selber sich zum Gott stilisieren können, natürlich darauf angewiesen, dass sie quasi ewig lebende Diktatoren ausstellen müssen. Die Diktatoren werden einbalsamiert und der Körper verfällt nicht, es werden Wundergeschichten erzählt. Die ganzen Systeme vertreiben natürlich die Religion. Wir wissen, dass Christen auch in Nordkorea verfolgt sind. Die Religion ist natürlich solchen Systemen auch gefährlich, weil die wahre und wirkliche Freiheit gegenüber einem staatlichen System, einer staatlichen Gesellschaft natürlich durch die Bindung an Gott kommt und das möchten Ideologien natürlich verhindern.



domradio.de: Kim Jong Il war einer der gefährlichsten Diktatoren der Welt, die Bürger in Nordkorea mussten unter dem Regime  leiden, wir denken an die Hungerkatastrophe beispielsweise. Dennoch gibt es Bilder von vielen Tausenden Trauernden, die Nachrichtensprecherin hat zum Beispiel bei der Verkündigung des Todes geweint - bei allem Respekt, ist das nicht ein bisschen "Gaga"?

Bruder Paulus: Das ist vielleicht ein bisschen "Gaga", aber es ist natürlich eine gewisse Volkshysterie, die da entzündet wird, da achtet einer auf den anderen. Wer trauert hier genug und wer kann hier noch mehr zeigen, dass er wirklich zum System gehört. Es kann auch ein Ausdruck von Angst sein. Man darf auch nicht unterschätzen, was in Menschen vor sich geht, die jahrzehntelang indoktriniert worden sind. Wenn man am Ende nicht mehr über einen gekreuzigten Herrn weint, wie wir Christen das über einen gekreuzigten Gott tun, wenn wir nicht mehr weinen können darüber, dass Gott sich der Armen erbarmt, dann muss man das eben an einem Menschen fest machen und das ist eben aus unserer Sicht "Gaga". Wir müssen aber auch sagen, wir hoffen, dass jetzt durch den Sohn, der in westlichen Gefilden auch aufgewachsen ist, es doch möglich wird, der wahren Freiheit zu trauen, die im Herzen des Menschen geschrieben steht.



Das Interview führte Tobias Fricke (domradio.de)