Der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch zieht Bilanz

Was wird bleiben?

Auch für die katholische Kirche war 2011 ein aufregendes Jahr: Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, über den Deutschlandbesuch von Papst Benedikt XVI., den Dialogprozess und seine Erwartungen an 2012.

 (DR)

KNA: Am Jahresende geht der Blick zurück - was war für Sie der kirchliche Höhepunkt 2011?

Zollitsch: Zweifellos der Papstbesuch! Gerade weil es Papst Benedikt so eindrucksvoll gelungen ist, die Frage nach dem Glauben heute, die Frage nach Gott in unsere Gesellschaft hineinzutragen.



KNA: Hat der umjubelte Auftritt des Bischofs von Rom die Kirche in Deutschland verändert? Was wird bleiben?

Zollitsch: Der Heilige Vater hat gerade den Jugendlichen großen Mut gemacht. Viele junge Katholiken haben mir nachher gesagt, dass der Papst mit seinen Worten bei der Jugendvigil "Es kommt nicht darauf an, wie oft ihr hinfallt, sondern darauf, wie oft ihr mit der Hilfe Jesu Christi wieder aufsteht" einen Nerv getroffen hat. Die Jugend hat gespürt, da kommt ein bescheidener, tief gläubiger Mann, der die Botschaft von der Barmherzigkeit Gottes verkündet. Das hat viele Jugendliche tief beeindruckt. Das wird für die Kirche in Deutschland noch Früchte tragen, davon bin ich überzeugt.



KNA: Was ist für Sie der Kern der Freiburger Konzerthausrede des Papstes?

Zollitsch: Der Papst hat uns angestoßen, uns neu mit dem Bibelwort zu befassen: "Ihr seid nicht von dieser Welt, aber in dieser Welt." Wir wollen die Welt mitgestalten, aber uns als Christen zugleich klar von ihr positiv abheben. Das ist mit dem Papstwort von der "Entweltlichung" gemeint. Es ist nun unsere Aufgabe, diesen Auftrag auszugestalten.



KNA: Sehen Sie auch Folgen für das deutsche Staat-Kirche-Verhältnis, etwa in Sachen Kirchensteuer?

Zollitsch: Der Heilige Vater hat diese konkreten Fragen nicht angesprochen. Der zentrale Auftrag der Rede ist es, hier in Deutschland die Frage nach Gott wachzuhalten. Daraus ergeben sich auch Fragen, wie sie in den vergangenen Wochen diskutiert worden: nach angemessenen Strukturen und notwendiger Organisation. Die Kirche ist nicht um ihrer selber willen, sondern für die Menschen und die Verkündigung der frohen Botschaft Gottes da.



KNA: Ist der geplante Verkauf des Medienunternehmens "Weltbild" also auch im Sinne der vom Papst geforderten "Entweltlichung"?

Zollitsch: Nein, der von den Bischöfen beschlossene Verkauf hat mit der Konzerthausrede nichts zu tun. Wir Bischöfe haben seit Jahren gespürt, dass der "Weltbild-Konzern" mit der Zeit für die Kirche schlicht zu groß wurde, und haben uns über die Zukunft des Gesamtunternehmens Gedanken gemacht. Und nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass in Einzelfällen problematische Literatur über "Weltbild" erhältlich war, ist die erneute Verkaufsentscheidung konsequent und richtig.



KNA: Wie kann bei dem angestrebten Verkauf der sozialen Situation der Mitarbeiter Rechnung getragen werden?

Zollitsch: Es gibt eine soziale Verantwortung. Wir können schon deswegen nicht einfach sagen, wir verkaufen das Unternehmen Hals über Kopf und ohne Rücksicht zum Beispiel auf die Beschäftigten.



KNA: Ist der Beschluss eine Richtungsentscheidung der Bischöfe in Sachen Medienpolitik?

Zollitsch: Wir streben an, unser Medienengagement noch stärker zu koordinieren. Dazu haben wir Schritte wie die Gründung eines Medienhauses in Bonn unternommen. Klar ist: Wir brauchen die Präsenz kirchlich-religiöser Fragen in der Öffentlichkeit.



KNA: Im Mai steht mit dem Mannheimer Katholikentag das nächste kirchliche Großereignis an. Was erhoffen Sie sich hier?

Zollitsch: Katholikentage sind eine wichtige Zeitansage. Hier kommen Menschen aus der gesamten Breite der Kirche zusammen. Unter dem Leitwort "Einen neuen Aufbruch wagen" wollen wir den Blick in die Zukunft richten. Ich hoffe, dass spürbar wird, welche große Hoffnung und Verheißung uns Gott schenkt.



KNA: Wird es auch um gesellschaftspolitische Fragen gehen?

Zollitsch: Ja. Fragen wie die Bewahrung der Schöpfung, die Finanzkrise oder Gerechtigkeit zwischen den Generationen wollen wir intensiv diskutieren. Die Kirche hat hier viel zu sagen. Für mich ist die Grenze des "Weiter so", vielleicht sogar das Ende des ständigen Wachstums in den reichen Industriestaaten erreicht. Deutschland tut gut daran, in der Frage der Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit eine weltweite Impulsrolle übernehmen.



KNA: Vor gut einem Jahr haben Sie auch einen innerkirchlichen Dialog zu Zukunftsperspektiven und möglichen Reformen angestoßen. Wie steht es damit?

Zollitsch: Es geht uns in erster Linie um einen geistlichen Prozess und spirituellen Aufbruch im Glauben. Der Dialog beginnt mit dem gemeinsamen Hören auf das, was Gott uns heute zu sagen hat. Und daran schließt sich die Suche nach Antworten auf konkrete Fragen an.



KNA: In welchen Bereichen erwarteten Sie sich Neuakzentuierungen oder Reformen?

Zollitsch: Man muss die verschiedenen Entscheidungsebenen beachten.

Auf Bistumsebene wollen wir beraten, wie wir die Verantwortung und Beteiligung der Kirchenbasis, der Laien, stärken können. Wie kann Gemeindeleitung künftig aussehen? Auf der Ebene der Bischofskonferenz überlegen wir, ob es nicht etwa um die Frage nach einer barmherzigen Seelsorge für wiederverheiratete Geschiedene gehen sollte. Wir müssen auf die Situation der Menschen reagieren, dass immer mehr Ehen geschieden werden. Wie können wir diesen Menschen helfen, ohne die Unauflöslichkeit der Ehe in Frage zu stellen? Dabei geht es um viel mehr als allein um die Frage des Zugangs zu den Sakramenten. Auf weltkirchlicher Ebene hoffe ich, dass der Dialogprozess im besten Fall einen Beitrag dazu leisten kann, um auf dem Weg der Einheit der Christen voranzukommen.



KNA: Wird es Änderungen für Frauen geben?

Zollitsch: Man übersieht leicht, wie viel Verantwortung Frauen bereits heute tragen: als Pastoral- und Gemeindereferentinnen, als Frauen, die Wortgottesdienste gestalten, als Pfarrgemeinderätinnen oder Kommunionhelferinnen wie auch sehr häufig als Frauen in Führungspositionen. Die Kirche lebt sehr stark vom Engagement der Frauen. Deshalb warne ich davor, die Frage nach der Rolle der Frau in der Kirche nur in Orientierung an der unbestreitbaren, durchgehenden kirchlichen Tradition festzumachen, dass bestimmte Kirchenämter Männern vorbehalten sind.



KNA: Viele Katholiken setzen sich dafür ein, dass Frauen Diakoninnen werden dürfen.

Zollitsch: Die Befürworter eines Diakonats der Frau dürfen nicht übersehen, dass das in der frühen Kirche möglicherweise belegbare Diakonat der Frau dann doch ein anderes war als das des Mannes. In dieser Frage plädiere ich für eine geduldige Urteilsbildung und weitere theologische Beratungen. Öffentlicher Druck und Aktionstage können sie nicht ersetzen und sind nicht hilfreich.



Das Gespräch führte Volker Hasenauer.