Ein Weihnachtsplädoyer von Pfarrer Meurer

"Hier bist Du willkommen"

In einer TV-Talkshow sagte Franz Meurer jüngst über sich, er sei der "Headhunter der Asis". Der Kölner Pfarrer ist bundesweit für sein Engagement für sozial Benachteiligte bekannt. Im domradio.de-Interview spricht er über das gesellschaftliche Stigma Armut und fordert eine Kirche ohne Schrankendenken.

 (DR)

domradio.de: Ist arm sein nur eine Frage des Geldes?

Meurer: Armut heißt: Einsamkeit, nicht dazu gehören können. Das ist eine der schlimmsten Krankheiten unserer Zeit. Für uns Christen kommt es darauf an, das nicht zu akzeptieren. Diese Einsamkeit muss überwunden werden. Bei unserem Weihnachts-Krippenspiel spielen viele Kinder mit, die gar nicht lesen können. Aber sie wollen mitspielen. Das zeigt doch auch: Es kommt nicht darauf an, eine bestimmte Qualifikation zu nehmen, zu sagen, nur hübsche, begabte und vorzeigbare Kinder dürfen bei uns auftreten. Ganz im Gegenteil: Wir müssen als Erwachsene und gerade als Christen deutlich machen, dass bei uns keiner übersehen wird. Wir geben zum Beispiel jedem Kind ein Fahrrad, in diesem Jahr sind es schon 600.



domradio.de: Ein Beispiel für Reichtum - auch für ärmere Menschen - in diesen Tagen. Welche anderen "Geschenke" sind notwendig?

Meurer: Ohne Mindestlohn geht es nicht. Ich sage ganz klar: Die Leistungseliten müssen ordentlich besteuert werden. Ich sage extra nicht, die Reichen, da ist direkt wieder Neid dabei. Wer viel leisten kann, kann sich auch intensiv beteiligen. Und, damit kriege ich jetzt bestimmt Ärger, es soll auch durchaus eine kräftige Erbschaftssteuer geben. Warum? Die Kinder sollen sich selber anstrengen. Das ist die politische Ebene. Und bei der praktischen geht es um die Frage, wie wir in den Gemeinden zusammenleben. Hier ist die Botschaft wichtig: Hier bist Du willkommen, ohne eine Vorleistung! Du musst nicht bürgerlich sozialisiert sein, Du darfst ruhig in der Nase bohren. Du darfst ein armes Kind sein, aber wirst wie alle anderen beteiligt. Der Kern ist, ob die Kinder strahlen, wenn sie in die Kirche kommen. Ob sie dann den Eindruck haben: Das ist der Ort, wo wir alle gleich sind.



domradio.de: Es geht also auch darum, etwas abzugeben...

Meurer: Ja, zum Beispiel kommt gleich jemand, der Geschenke für Kinder vorbeibringt. Jetzt brauchen wir das eigentlich nicht mehr, aber im nächsten Jahr. Jetzt in der Weihnachtszeit öffnen sich alle Herzen, und in den elfeinhalb Monaten danach ist Stillstand. Da müssen wir ein Polster anlegen. Weil jedes Kind soll was zum Geburtstag bekommen.



domradio.de: Es gibt auch Menschen, die mit Geld arm sind. Kennen Sie solche Leute auch?

Meurer: Ja, natürlich sind viele Menschen mit Geld arm. Weil sie, um es hart auszudrücken, nicht in Familie investiert haben. Die einzige vernünftige Investition ist die in Kinder. Und wenn man älter ist und hat keine Kinder, ist das nicht so einfach. Wahlverwandtschaften halten nicht in der Art und Weise. Das, was an Weihnachten passiert: dass ein Kind geboren wird, ist die Botschaft, die Wärme und Zuversicht auf Dauer verspricht.



Das Gespräch führte Monika Weiß.