Dokumentarfilm über die Grabeskirche im TV

Heiliger Mikrokosmos

Sechs Konfessionen teilen sich hier Rechte und Pflichten, die 1.700 Jahre christlicher Verehrung atmet: Die Grabeskirche ist einer der heiligsten Orte der Christen. Fünf Monate lang war Filmemacher Hajo Schomerus vor Ort. Herausgekommen ist das facettenreiche Bild eines Ortes voller Menschlichkeit.

Autor/in:
Gabi Fröhlich
 (DR)

Sechs Konfessionen teilen sich hier Rechte und Pflichten, die 1.700 Jahre christlicher Verehrung atmet: Die Grabeskirche ist einer der heiligsten Orte der Christen. Fünf Monate lang war Filmemacher Hajo Schomerus vor Ort. Herausgekommen ist das facettenreiche Bild eines Ortes voller Menschlichkeit.



"Hat jemand ein Problem damit, Kirchen zu betreten?" Die Soldatin schaut sich um. Nein. Niemand. "Also, passt auf: Wir sind wirklich am heiligsten Ort der gesamten christlichen Welt." Zwei Dutzend junge Frauen in grüner Uniform lauschen aufmerksam. "Wir werden gleich total coole Christen sehen, und wirklich einen Eindruck von der Kirche gewinnen."



Der Einstieg in den Film "Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen" ist unerwartet: Regisseur Hajo Schomerus führt den Zuschauer sozusagen von ganz außen hinein in die Jerusalemer Grabeskirche - mit einer Gruppe israelischer Soldatinnen. Ein wenig frech wirken ihre Einlassungen an dem Ort, wo Christen die Auferstehung Jesu verehren - aber nicht ohne Respekt: Waffen und Zigaretten bleiben draußen. Das ZDF zeigt den mit dem Prädikat "Besonders Wertvoll" und dem Preis der Deutschen Filmkritik geehrten Dokumentarfilm in der Nacht von Montag auf Dienstag um 00.45 Uhr.



Schomerus ist kein Nahestehender: Der gelernte Kameramann stammt aus einer norddeutschen protestantischen Pfarrersfamilie - "kulturell und vom religiösen Leben her das pure Gegenteil von dem, wie Christentum in der Grabeskirche gelebt wird". Dennoch - oder vielleicht deshalb - hat das dunkle, verwinkelte, "bis zum Überlaufen mit Geschichte und Politik angefüllte" Gotteshaus ihn seit einem ersten Zufallsbesuch vor Jahren fasziniert: "Ich hatte den Eindruck eines Mikrokosmos", in dem sich die große Welt spiegelt."



Sechs Konfessionen teilen sich Rechte und Pflichten in der Kirche, die 1.700 Jahre christlicher Verehrung atmet: fünf orthodoxe und die Franziskaner für die Katholiken. Das komplexe Miteinander erklären die Bewohner selbst. Der Film verzichtet auf jeden Kommentar, lässt Bilder und Protagonisten für sich sprechen. Der Zuschauer stellt fest, dass diese seltsame "Kirchen-WG" es nicht immer leicht mit sich hat. Ein Konflikt endet gar in einer Prügelei direkt vor dem Grab Christi, die Schomerus mit seiner Kamera schonungslos einfängt.



Gleich darauf nimmt der Film die Perspektive des Franziskaners Jay ein, der erst seit einem Monat in der Kirche Dienst tut und das Geschehen mit sichtlicher Fassungslosigkeit beobachtet: "Es brach mir wirklich das Herz", gesteht der Inder. "Ich war wütend auf das ganze System. Einmal habe ich sogar gesagt: Lasst diesen Tempel fallen, lasst das Grab einstürzen. So wie Jesus es vom Tempel in Jerusalem vorhergesagt hat: Hier prügeln sich die Brüder sowieso nur."



Schomerus, der hier zum zweiten Mal Regie führt, urteilt nicht. Er beobachtet. Fünf Monate lang hat er in der Kirche gedreht, Tag und Nacht, während brechend gefüllter Osterfeiern und in einsamen Morgenstunden. 140 Stunden Material. Das auf 90 Minuten konzentrierte Ergebnis ist das facettenreiche Bild eines Ortes voller Menschlichkeit - und gleichzeitig voller Mystik, Sehnsucht und Hoffnung.



Aus dem befremdenden Durcheinander in der Kirche treten nach und nach einzelne Gestalten heraus, die dem Zuschauer ihre eigene Sicht auf den Ort und den christlichen Glauben nahebringen - vom selbstbewussten griechisch-orthodoxen Patriarchen über die muslimischen Türschließer bis zu dem koptischen Mönch mit seinen verschmitzten Lebensweisheiten.



Schomerus hofft, dass sein Film über das kirchennahe Publikum hinaus Interesse finden wird. So wie die Grabeskirche bei ihm selbst die Frage nach dem "Warum" fremdartiger Glaubensvollzüge aufgeworfen hat, so will er auch dem Zuschauer einen Raum für eigene Fragen

öffnen: "Das Mysterium bleibt", meint Schomerus. "Aber dass es dieses Mysterium gibt, ist ja an sich schon eine Botschaft."



Hinweis: "Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen", ZDF, Di. 20.12., 00.45-2.15 Uhr.