Der Sozialethiker Peter Schallenberg zur Kreditaffäre des Bundespräsidenten

"Die Frage ist: Will er im Amt bleiben?"

Christian Wulff erhält Rückendeckung von vielen Seiten. Doch auch Kritik. "Das Amt ist unter Beobachtung", sagt Prof. Peter Schallenberg. Im domradio.de-Interview fordert der katholische Sozialethiker gründliche Aufklärung. Und spricht über ein Problem, das am Ende immer bleiben wird.

 (DR)

domradio.de: Ausgangspunkt der aktuellen Vorwürfe ist, dass Wulff einen Kredit in Höhe von 500.000 Euro zunächst verschwieg. Wie bewerten Sie das?

Schallenberg: Das ist zumindest eine Grauzone, in der er sich da bewegt hat. Ganz penibel gesprochen, ist ihm da kein Vorwurf zu machen. Zumal das Ganze ja noch vor Inkrafttreten des Ministergesetzes stattgefunden hat. Aber es ist zumindest ein Schatten, so dass man sagen kann: Er hat sich um eine klare und deutliche Aussage herumgewunden.



domradio.de: Jetzt wurde veröffentlicht, wo Wulff bei wem Urlaub gemacht hat, um "zu zeigen, dass die Reisen keinen Bezug zu seinen öffentlichen Ämtern hatten". Aber lässt sich das so trennen - der Austausch von Gefälligkeiten zwischen Politikern und Unternehmern?

Schallenberg: Das sollte so ein. Es wird von Politikern erwartet, dass sie sich nach Möglichkeit unabhängig halten. Es darf nicht der Hauch einer Vorteilsnahme entstehen. Deswegen reagiert die Öffentlichkeit auch so empfindlich - ohne dass wir jetzt hier zu Gericht über Personen oder persönliche Angelegenheiten sitzen. Aber wenn es zu solchen Interessensvermengungen kommt, sind wir heutzutage sehr aufmerksam. Ich finde, mit Recht.



domradio.de: Die Schieflage ist da - was kann jetzt helfen?

Schallenberg: Ich würde auch zu unaufgeregtem Vorgehen raten. Es wäre günstig, die Vorgänge bis in die letzten Details aufzuklären. Da ist es natürlich die Frage, ob der Bundespräsident als Privatperson dazu die Nerven hat und das durchstehen will. Das ist nicht unser Thema, das müssen er und seine Frau wissen. Aber der Bundespräsident in seinem Amt hat die Aufgabe, das bis in die Einzelheiten aufzudecken. Da muss man sehen: Gab es gesetzliche Verstöße. Nach jetzigem Stand gab es die nicht. Und dann ist es immer noch eine Frage der Glaubwürdigkeit und der persönlichen Integrität. Am Ende wird es vermutlich darauf hinauslaufen, dass er sich streng genommen keinen Gesetzesverstoß hat zu schulde kommen lassen. Aber die Frage lautet: Will er im Amt bleiben und weiterhin Ansprachen über Integrität und Moralität halten? Und jeder weiß, er ist zumindest in einer Grauzone gewesen. Das ist das eigentliche Problem dabei.



domradio.de: Viele rufen jetzt schon nach einem Rücktritt...

Schallenberg: Ich würde das Amt jetzt nicht einfach behandeln wie einen Sommermantel, den man beim ersten scharfen Wind auszieht und an den Garderobenhaken hängt. Es gab immer in der Geschichte der Bundesrepublik Vorwürfe, Krisen und Schwierigkeiten. Fast bei jedem Bundespräsidenten. Heinrich Lübke ist kurz vor dem Ende seiner zweiten regulären Amtszeit zurückgetreten, offiziell mit Verweis auf gesundheitliche Gründe. Er wurde aber auch schwer von der Presse angegriffen. Ich würde sagen: Das Amt ist stark unter Beobachtung, der Amtsinhaber ist stark unter Beobachtung. Das ist in einer Demokratie ganz normal. Und dem muss man auch standhalten können. Jetzt muss erst mal alles aufgeklärt werden, vielleicht am Ende von einem Untersuchungsausschuss. Das ist nicht ehrenrührig. Und ich würde auch von einem Amtsinhaber erwarten, dass er eine solche Untersuchung freimütig durchsteht. Wenn er der Meinung ist: Ich habe mir nichts zu schulde kommen lassen.



domradio.de: Sollte Christian Wulff trotz allem seine Weihnachtsansprache halten?

Schallenberg: Das wäre schon angemessen. Aber es käme darauf an, wie er das tut. Der Ton macht die Musik. Ob er in einer selbstgerechten Attitüde spricht oder ob er die Möglichkeit hat zu sagen: "Ich habe mich nicht immer ganz auf der Höhe der moralischen Integrität bewegt, das tut mir leid. Und ich möchte wünschen, dass es möglich ist, dass andere das auch erkennen - und im Nachhinein bedauern." Das wäre wahrscheinlich der richtige Tonfall. Wir brauchen keinen obersten Sittenwächter, von dem jeder weiß, er ist im Grunde genauso in Versuchung und Zweifel wie wir selbst.



Zur Person: Prof. Peter Schallenberg ist ein römisch-katholischer Moraltheologe und christlicher Sozialwissenschaftler. 2010 übernahm Peter Schallenberg das Direktorat der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle (KSZ) in Mönchengladbach und löste Anton Rauscher SJ ab, der das Amt 46 Jahre lang innehatte.



Das Gespräch führte Monika Weiß.