Tschechischer Ex-Präsident Havel ist tot

Der Präsident wider Willen

Er war ein Präsident wider Willen. Denn Vaclav Havel hatte alles andere werden wollen als Politiker. "Nur zu schreiben" sei ihm Lebensinhalt, bekannte er einmal. Dennoch ging mit dem Ende seiner Amtszeit als Präsident der Tschechischen Republik im Januar 2003 eine Epoche zu Ende. In der Nacht zum Sonntag ist Havel im Alter von 75 Jahren in Prag gestorben.

Autor/in:
Helmut S. Ruppert und Hans-Jörg Schmidt
 (DR)

Am 5. Oktober 1936 in eine großbürgerliche Prager Familie geboren, blieb Havel unter den Kommunisten der Weg zu höherer Bildung zunächst versperrt. Er wurde Chemielaborant und belegte dann ein Fernstudium für Dramaturgie. Über den Umweg als Bühnenarbeiter und Beleuchter beschäftigte ihn das Prager "Theater am Geländer" schließlich als Hausautor. Seine Bühnenstücke wurden in mehr als 300 Inszenierungen und etwa 25 Ländern aufgeführt.



Havel blieb kein unpolitischer Erfolgsautor. Beim IV. Schriftstellerkongress 1967 griff er ebenso mutig wie scharf den kommunistischen Apparat an. Während des "Prager Frühlings" 1968 galt er als Sprecher der nichtkommunistischen Intellektuellen - was ihm nach der Besetzung der CSSR durch Truppen des Warschauer Pakts mehrere Haftstrafen und Berufsverbot eintrug.



Symbolfigur des gewaltlosen Widerstands

Als am 17. November 1989 mehr als 50.000 Demonstranten in Prag die politische Wende einleiteten, war Havel die Symbolfigur des gewaltlosen Widerstands schlechthin: Und so war es natürlich, dass nach dem Rückzug des kommunistischen Hardliners Gustav Husak überall der Ruf erscholl: "Havel na hrad - Havel auf die Burg!" Am 29. Dezember 1989 wurde er einstimmig und ohne Gegenkandidaten gewählt - vom alten kommunistischen Parlament.



Eigentlich wollte Havel auch mit Blick auf seine angeschlagene Gesundheit nur als Übergangspräsident amtieren, doch das ließ sein Verantwortungsbewusstsein nicht zu. Ein besonderes Anliegen war ihm die Aussöhnung mit den deutschen Nachbarn. Im Oktober 1991 paraphierte er mit Bundespräsident Richard von Weizsäcker einen "Freundschafts- und Nachbarschaftsvertrag". Freilich stieß Havel auch auf Widerstand im eigenen Land. Dass er sich für die Vertreibung der Sudetendeutschen entschuldigte, trug ihm Unverständnis in der Bevölkerung und wüste Beschimpfungen von Nationalisten ein.



Außenpolitisch blieb Havel auf der Linie der USA und der Nato. Zur "Verteidigung der Freiheit und der Menschenrechte" unterstützte er die Kriege im Kosovo, in Afghanistan und im Irak - eine Einstellung, die er mit vielen früheren Dissidenten des Landes teilte. Als eine seiner letzten Amtshandlungen reihte Havels Tschechien in die "Koalition der Willigen" ein, obwohl die Regierung und die Mehrheit der Bürger den Irakkrieg ablehnten.



Zu seiner alten Liebe, dem Schreiben, kehrte er zurück

Seit seinem Rückzug von der politischen Bühne war es ruhiger um Havel geworden. "Ich bin heute in einer komplizierteren Lage als zu meiner Zeit als Präsident", sagte er in einem Zeitungsinterview. "Auf der einen Seite erwarten alle von mir, dass ich mehr Zeit habe und mich zu allem äußere. Auf der anderen Seite sehe ich, wie mir die Kraft schwindet. Ich bin heute kaum in der Lage, ein Zehntel dessen zu schaffen, was ich früher bewältigt habe."



Den ganzen Sommer über laborierte Havel, nachdem er vor Jahren eine Lungenkrebserkrankung überstand, erneut an einer Entzündung der Atemwege. Von seinem Landhaus in Nordböhmen lieferte er sich hin und wieder ein Wortgefecht mit seinem Dauerrivalen und Nachfolger Vaclav Klaus. Zu seiner alten Liebe, dem Schreiben, kehrte er zurück, veröffentlichte ein Buch und ein Theaterstück. Im vergangenen Jahr erfüllte er sich einen Lebenstraum und drehte seinen ersten Film. Über einen Präsidenten, der schlecht von der Macht lassen kann. Auf Havel selbst traf das nicht zu.



Trauer und Bestürzung: Reaktionen

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) würdigte den Dichter, Bürgerrechtler und Politiker als "einen großen Europäer". "Sein Einsatz für Freiheit und Demokratie bleibt ebenso unvergessen wie seine große Menschlichkeit", betonte Merkel in einem Kondolenzbrief an den amtierenden tschechischen Staatschef Vaclav Klaus. "Gerade auch wir Deutsche haben ihm viel zu verdanken."



Außenminister Guido Westerwelle (FDP) nannte Havel einen Wegbereiter der europäischen Wiedervereinigung. "Er war die Seele der Revolution in Tschechien." Ohne ihn und seine mutigen Worte wäre der demokratische Aufbruch in Mittel- und Osteuropa undenkbar gewesen. Ich verneige mich vor diesem großen Streiter für Demokratie und Freiheit", sagte Westerwelle.



Die Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, Renate Künast und Jürgen Trittin, erklärten, Havel habe sein Leben lang für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte in Europa gestritten. "Sein Denken und Handeln waren von echtem Humanismus geprägt."



Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) hob auch Havels Verdienste in der Zeit nach der Wende hervor. Mit seinem vermittelnden Kurs sei er ein Vorbild des gesellschaftlichen Aufbruchs in schwierigen Zeiten gewesen, sagte er in Potsdam.



Nach den Worten des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, setzte sich Havel beharrlich und unermüdlich für Gerechtigkeit und Freiheit ein. Das drücke sich in dem von Havel geprägten Satz aus: "Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht."