Ludwig Baumann hat die Rehabilitierung der "Kriegsverräter" erstritten

90 und kein bisschen leise

Für Hitler waren Wehrmachts-Deserteure wie Ludwig Baumann Staatsfeinde Nr. 1. Mittlerweile hat der Bremer die Rehabilitierung der "Kriegsverräter" erreicht. Und trotz 90 Lebensjahren ist er noch immer unterwegs - für Frieden und Gewaltfreiheit.

Autor/in:
Dieter Sell
 (DR)

Die NS-Justiz hat ihn zum Tode verurteilt, nach dem Krieg wurde er als "Volksschädling" beschimpft. Bremen ehrt ihn am 13. Dezember zu seinem 90. Geburtstag mit einem Senatsempfang: Ludwig Baumann hat sein Leben lang für die Rehabilitierung von Wehrmachts-Deserteuren und sogenannten "Kriegsverrätern" gekämpft. Der Bundestag hat mittlerweile alle entsprechenden NS-Unrechtsurteile aufgehoben. Doch Baumann engagiert sich noch immer und besucht als Zeitzeuge Schulklassen in ganz Deutschland.



Über Jahre hat sich der gebürtige Hamburger als Vorsitzender der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz für die Rehabilitierung eingesetzt. Zwischenzeitlich sind die meisten Betroffenen tot. "Ohne Würde kann man einfach nicht existieren", sagt Baumann, der die Bundesvereinigung 1990 mit begründet hat und nun einzig überlebender Initiator ist.



Rund 30.000 Deserteure, Verweigerer und "Kriegsverräter" wurden von der NS-Militärjustiz zum Tode verurteilt, geschätzt etwa 20.000 hingerichtet. "Der Soldat kann sterben, der Deserteur muss sterben", lautete Hitlers Weisung.



Mit anderen Soldaten desertierte Baumann 1942 als Marine-Gefreiter in Bordeaux. Er wurde gefasst, gefoltert, verurteilt und verbrachte zehn Monate in der Todeszelle. Das Grauen, die Erinnerung daran verfolgt ihn bis heute. Dann wurde sein Urteil in zwölf Jahre Zuchthaus umgewandelt. Er kam ins KZ, ins Wehrmachtsgefängnis Fort Zinna in Torgau und ins Strafbataillon - und überlebte. Sein Freund und Mitangeklagter Kurt Oldenburg starb.



Erst 2002 rehabilitiert

"Auch im Nachkriegsdeutschland wurden wir als Feiglinge, Drecksäcke und Vaterlandsverräter beschimpft", erinnert sich Baumann. Durch seinen Einsatz erfuhr die Öffentlichkeit mehr über die Menschen, die sich der Wehrmacht entzogen. Langsam änderte sich das Meinungsbild, wurde Fahnenflucht zunehmend als Akt des Widerstandes verstanden.



Dann hob der Bundestag 1998 alle Unrechtsurteile der NS-Militärjustiz auf. 2002 beschloss das Parlament die pauschale Rehabilitierung von Deserteuren. Vor gut zwei Jahren folgten die "Kriegsverräter". Betroffen waren meist einfache Soldaten, die Juden warnten, der Zivilbevölkerung halfen oder als Partisanen gegen Hitler kämpften.



"Was kann man Besseres tun, als den Krieg zu verraten?" fragt Baumann, der sich treu geblieben ist. "Kriegsverrat ist eine Friedenstat", betont er. In der Friedensbewegung setzt er sich deshalb bis heute dafür ein, "dass wir Menschen uns nicht gegenseitig umbringen". Dafür demonstriert der zerbrechlich wirkende zierliche Mann mit der festen Überzeugung und reist kreuz und quer durch das Land.



Alles erreicht? Baumann schüttelt den Kopf

Das strengt ihn an. Aber er kämpft weiter für die Erinnerung und war im September 2009 auch in Köln, als dort auf dem Appellhofplatz ein Denkmal für Deserteure und Opfer der NS-Militärjustiz eingeweiht wurde. Es ähnelt einer Pergola, das Dach besteht aus farbigen Aluminiumbuchstaben. Sie ergeben einen Kettentext, der mit den Worten beginnt: "Hommage den Soldaten, die sich weigerten zu schießen."



Ist jetzt nicht alles erreicht? Baumann schüttelt den Kopf. "Was haben wir zum Beispiel am Hindukusch zu suchen?", fragt der Bremer, der zu seinem Geburtstag auch mit einer Tagung gefeiert wird. Ihn macht es fassungslos, dass die Bundeswehr in Afghanistan steht. Mit seiner Geschichte müsse sich Deutschland für Gerechtigkeit, Leben und Frieden einsetzen. Wie das zu geschehen hat, das ist für Baumann ganz klar: "Wir sind zu gewaltfreiem Handeln aufgerufen."