Erzbischof Monsalve von Cali zum Guerillakampf in Kolumbien

"Russisches Roulette mit dem Leben der Geiseln"

Die Auseinandersetzung zwischen kolumbianischen Sicherheitskräften und der linksgerichteten Guerillaorganisation FARC wird blutiger. Am Dienstag werden mehr als 100.000 Teilnehmer zu einer Kundgebung erwartet, um eine Freilassung der FARC-Geiseln zu fordern. Im Interview äußert sich der Erzbischof von Cali, Dario de Jesus Monsalve Mejia, über den aktuellen Konflikt.

 (DR)

KNA: Herr Erzbischof, wie sehen Sie die Chancen für eine Vermittlerrolle der katholischen Kirche in Kolumbien?

Monsalve: Wichtiger als eine Vermittlerrolle sind zunächst einmal die Unterstützung und die Begleitung der Opfer. Aufgabe der Kirche ist es zu helfen, eine Zivilgesellschaft aufzubauen, einen Dialog und eine Versöhnung in Gang zu bringen. Das ist nicht einfach.

Darauf beschränkt sich die Rolle der Kirche nach acht Jahren der Präsidentschaft Alvaro Uribes und fast zwei Jahren unter Juan Manuel Santos - denn der direkte Kontakt zu den bewaffneten illegalen Gruppen ist verboten.



KNA: Sie haben die Tötung von FARC-Chef Alfonso Cano als "Trophäendenken" kritisiert. Was meinen Sie damit?

Monsalve: Es gibt derzeit in der Gedankenwelt dieses Krieges gar nicht die Vorstellung, jemanden zu lebend verhaften und ihn vor ein Gericht zu stellen. Stattdessen gibt es eine Jagd auf eine Trophäe wie bei Alfonso Cano. Damit beenden wir aber nicht den Krieg - dazu müssten wir unsere Einstellung ändern. Hinrichtungen in Kolumbien sind illegal, die Todesstrafe in Kolumbien ist illegal. Das Gesetz schreibt vor, Täter festzunehmen und ins Gefängnis zu bringen.



KNA: Sie haben eine Kampagne gestartet: "Bringt die Geiseln lebend zurück". Wie ist dieser Titel zu verstehen?

Monsalve: Das wichtigste Ziel muss sein, die Geiseln lebend zurückzubringen. Derzeit setzt die Regierung vor allem auf eine militärische Lösung, aber das ist Russisches Roulette mit dem Leben der Geiseln. Manchmal hat man den Eindruck, dass für beide Seiten, den Staat und die FARC, das Leben der Geiseln gar keine Rolle spielt.



KNA: Was bedeutet die missglückte Befreiungsaktion mit den vier getöteten Geiseln für den Konflikt?

Monsalve: Es sind vier weitere Tote. Und es ist der Tod von vielen Hoffnungen, von vielen Vorschlägen und vielen Illusionen. Viele Menschen empfinden sehr großen Schmerz. Und es sind wieder einmal Türen für einen Dialog zugeschlagen worden.



KNA: Als Reaktion darauf wird es an diesem Dienstag in der Hauptstadt und in ganz Kolumbien Demonstrationen für die Freilassung der Geiseln geben. Wie bewerten Sie das?

Monsalve: Ich lade die Gesellschaft ein, diesen Konflikt zu moralisieren. Das wäre ein großer Schritt. Es muss eine ethische Diskussion darüber stattfinden, wie wir diesen Konflikt beenden können. Denn darüber wird gar nicht nachgedacht.



KNA: Was muss sich in Kolumbien konkret ändern?

Monsalve: Schauen Sie nach Israel. Dort gab es jüngst einen Gefangenaustausch. Israel hat für einen israelischen Soldaten zahlreiche palästinensische Gefangene freigelassen. Wir müssen über alle Formen eines humanitären Abkommens nachdenken.



KNA: Was erwarten Sie?

Monsalve: Ich bin trotz allem Optimist. Der jetzige Präsident Santos war in der Vorgängerregierung Verteidigungsminister. Damals gab es absolut keine Chance für einen Dialog. Unter Santos haben sich diese Vorzeichen etwas zum Guten geändert.



Das Interview führte Tobias Käufer.



Hintergrund

Die Auseinandersetzung zwischen kolumbianischen Sicherheitskräften und der linksgerichteten Guerillaorganisation FARC wird blutiger.

Bei einer Militäraktion Anfang November wurde FARC-Chef Alfonso Cano getötet; nach einer missglückten Geiselbefreiung durch die Armee Ende November erschossen die Guerillas vier seit Jahren festgehaltene Personen. An diesem Dienstag werden mehr als 100.000 Teilnehmer zu einer Kundgebung erwartet, um eine Freilassung der zum Teil seit über 13 Jahren verschleppten Geiseln zu fordern.