Ägyptens Kopten vor den Wahlen

Am Rand und mittendrin

Die Situation der Kopten in Ägypten hat sich seit dem Sturz Mubaraks dramatisch verschlechtert. Für Entsetzen sorgen Übergriffe von Islamisten und der Armee auf koptische Kirchen und Demonstrationen mit Dutzenden Toten. Seit MOntag wird gewählt. Die Kopten fürchten einen Sieg islamistischer Parteien.

Autor/in:
Christoph Schmidt
 (DR)

Kurz vor den ersten demokratischen Wahlen in Ägypten ist die politische Lage am Nil so unübersichtlich wie nie seit der Revolution: Die Armee? Will mit Gewalt ihren Einfluss auf die Staatsführung und wirtschaftliche Pfründe sichern, verfolgt jedoch ansonsten unklare Absichten. Die alten Kader? Sitzen auch nach Auflösung der Mubarak-Partei noch an vielen Schaltstellen und profitieren dabei von ihrem Jahrzehnte lang eingeübten Opportunismus. Die Islamisten? Sind gespalten in die oft als "gemäßigt" bezeichneten Muslimbrüder und die extremistischen Salafisten. Die säkulare Jugend und die Liberalen? Bleiben zersplittert und leiden unter dem Mangel an charismatischen Figuren.



Die Situation ist für die Kopten nicht leichter geworden. Seit Februar seien schon 100.000 Kopten emigriert, so die IGFM. "Ein Sieg islamistischer Parteien würde zur weiteren Diskriminierung der koptischen Minderheit beitragen." Ein solcher Sieg ist aber derzeit das einzige in Ägypten, was sich mit einiger Sicherheit vorhersagen lässt. Demnach könnten die Muslimbrüder mit rund 30 Prozent der Stimmen stärkste Partei werden, die Salafisten weitere zehn Prozent gewinnen.



Gleiche Rechte für alle

Aus Sicht der Optimisten ist das Glas damit aber immer noch mehr als halb voll. Denn die übrigen Sitze könnten zu einem Gutteil an säkulare und liberale Kräfte gehen, die möglichen Eiferern in einer Koalitionsregierung entgegenwirken dürften. Außerdem verweisen sie darauf, dass bei den vor allem sozial engagierten Muslimbrüdern auch Christen beteiligt sind - wie überhaupt der Umgang zwischen den Religionen keineswegs nur Feindschaft kenne: "Es gibt einen Konsens, dass die Kopten die gleichen Rechte bekommen müssen, etwa für den Bau von Kirchen", meinte etwa der Politologe Hamed Abdel-Samad in einem Interview. "80 Prozent der Bevölkerung und der Parteienlandschaft sind dafür."



Hoffnungszeichen gibt es: Jüngst forcierten ausgerechnet die vielgescholtene Armee und die ansonsten streng-sunnitische Al-Azhar-Universität ein Gesetz, das den Bau von Kirchen deutlich erleichtern soll. Zugleich brachten die Generäle nach dem Militärmassaker an koptischen Demonstranten Anfang Oktober ein Antidiskriminierungsgesetz auf den Weg. Das sei "nicht nur Kosmetik", urteilt der Seelsorger der deutschsprachigen Katholiken im Nahen Osten, Joachim Schroedel. Der Armeeführung, die egal wie die Wahl ausgeht auf unabsehbare Zeit die Geschicke des Landes mitbestimmen wird, attestiert der Geistliche mit Blick auf die christliche Minderheit durchaus guten Willen, obwohl es immer wieder zu gewalttätigen Überreaktionen kommt. Die Zahl von 100.000 Auswanderern hält er für übertrieben.



Die Kopten selbst halten sich in der politischen Arena offiziell zurück. Eine eigene Partei haben sie nicht gegründet. Papst Schenuda III., der Mubarak lange als geringstes Übel die Treue hielt, fürchtet eine konfessionelle Polarisierung. Junge Christen, die auf dem Tahrir-Platz gemeinsam mit Muslimen für demokratische Verhältnisse demonstrieren, kritisieren allerdings, dass die orthodoxe Führung liberalen Kandidaten jede Unterstützung verweigert. Zumindest fürchtet die Amtskirche eine geringe Wahlbeteiligung der Gläubigen, denn Schenuda rief die Gemeinden zuletzt energisch zum Urnengang auf: "Eure Präsenz wird das Gleichgewicht zwischen Extremisten und Nichtextremisten wiederherstellen."



Profitieren dürfte von christlichen Wählern die Partei "Freie Ägypter" des koptischen Unternehmers und Milliardärs Naguib Sawiris.

Sie führt den linksliberalen "Ägyptischen Block" an, eins von vier Parteienbündnissen. Auch Sawiris wirbt nicht mit explizit koptischen Themen, sondern lieber mit innerer Sicherheit und der Schaffung von Arbeitsplätzen. Auf genau die dürfte es bei der friedlichen Stabilisierung des Landes am meisten ankommen.