Jeder Bürger soll sich einmal im Leben zur Organspende äußern

Lösung in Sicht

Der monatelange politische Streit über die Reform des Organspendewesens hat ein Ende. Die Spitzen der Bundestagsfraktionen und der Regierung haben sich darauf verständigt, dass jeder Bürger einmal im Leben freiwillig Auskunft geben soll, ob er zur Organspende bereit ist.

 (DR)

Alle im Bundestag vertretenen Fraktionen wollen bis Jahresende einen gemeinsamen Gruppenantrag zur Organspende vorlegen. Damit ist die Hoffnung verbunden, dass die Zahl potenzieller Organspender deutlich steigt. Jährlich warten bundesweit etwa 12.000 Menschen auf ein Organ. Rund 1.000 von ihnen sterben, während sie auf der Warteliste für eine Transplantation stehen.



In der in Berlin veröffentlichten gemeinsamen Erklärung der Abgeordneten Martina Bunge (Die Linke), Gabriele Molitor (FDP), Carola Reimann (SPD), Jens Spahn (CDU) und Harald Terpe (Bündnis 90/Die Grünen) heißt es, dass künftig "die Bereitschaft der Bürger zur Organspende regelmäßig, etwa mit dem Versand der Versichertenkarte, und mit einer höheren Verbindlichkeit abgefragt werden" solle. Das geschehe "mit so viel Nachdruck wie möglich, ohne jedoch eine Antwort zu erzwingen oder Sanktionen auszuüben". Eine Erklärung könne auch verweigert werden, hieß es.



Die Spitzenrunde einigte sich demnach darauf, die heutige Zustimmungslösung durch die sogenannte Entscheidungslösung zu ersetzen. Wann der Bürger die Entscheidung treffen soll, ist noch unklar. Denkbar sei, dass die Krankenkassen ihre Versicherten anschreiben und dem Brief Informationen sowie einen Organspendeausweis beilegen. Auch eine Erklärung im Zusammenhang mit der Einführung der neuen Gesundheitskarte sei eine möglich, heißt es.



Wichtige Fragen offen

Allerdings lässt die Einigung wichtige Fragen offen: So bleibt unklar, wie die Medizin künftig mit potenziellen Organspendern umgeht, die sich ausdrücklich nicht festgelegt haben. Wird bei ihnen dann stillschweigend vorausgesetzt, dass man transplantieren darf, weil kein Widerspruch vorliegt. Oder wird nicht transplantiert, weil keine ausdrückliche Zustimmung vorliegt?



Laut Umfragen sind viele Menschen zu einer Organspende nach ihrem Tod bereit, haben aber keinen Spenderausweis ausgefüllt. Nach der bisher geltenden Zustimmungslösung dürfen aber nur Organe entnommen werden, wenn der Patient vor seinem Tod seine Zustimmung gegeben hat oder seine Angehörigen einer Organentnahme zustimmen.



"Das ist eine Einigung im Sinne der Menschen, die zum Teil seit vielen Jahren auf ein Spenderorgan warten", sagte der Bevollmächtigte des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, Prälat Bernhard Felmberg. Gleichzeitig werde bei der Frage der Organspende das Prinzip der Freiwilligkeit gewahrt, für das sich die Evangelische Kirche stets ausgesprochen hat: "Es ist gut und richtig, dass niemand zu einer Entscheidung gezwungen wird."



Hessen Sozialminister Stefan Grüttner (CDU) bezeichnete dagegen die Neuregelung als nicht ausreichend. Er kritisierte, dass die Entscheidung für oder gegen eine Organspende freiwillig bleibe. "Eine Erklärungslösung ohne jegliche Verpflichtung, sich zu erklären, ist nicht genug", sagte er in Wiesbaden. Der heutige Beschluss werde an dem gravierenden Mangel an Spenderorganen nichts ändern. "Es muss möglich sein, wenigstens die Entscheidung für oder gegen Organspende verpflichtend zu machen", betonte der Minister.



Skeptisch zeigte sich auch die Deutsche Hospiz Stiftung: Eine regelmäßige Abfrage der Bürger löse die Probleme nicht, sagte der Geschäftsführende Vorstand Eugen Brysch. Er verwies auf Mängel in den Krankenhäusern: "Heute werden von den 4.000 Hirntoten jährlich nur 1.900 gemeldet. Das ist Organisationsversagen." Zudem müsse in der Transplantationsmedizin mehr Vertrauen und Transparenz einziehen. Die Bürger stellten sich Fragen wie: "Werde ich als Organspender trotzdem noch bestmöglich behandelt? Was heißt es eigentlich, hirntot zu sein? Welche Kriterien spielen bei der Organverteilung eine Rolle?"



Bischöfe für strikte Freiwilligkeit

Die Deutsche Bischofskonferenz spricht sich prinzipiell für mehr Organspenden aus. Die katholischen Bischöfe lehnen aber jeden Zwang ab. Voraussetzung müsse eine ausdrückliche Zustimmung des Spenders oder seiner Angehörigen sein, sagte der Vorsitzende der Unterkommission Bioethik der Bischofskonferenz, Gebhard Fürst.



Der Rottenburg-Stuttgarter Bischof lehnte auch eine Pflicht der Bürger ab, sich zur Organspende zu äußern. Jeder Zwang löse Ängste aus, so Fürst. Zugleich sprachen sich die Bischöfe für eine verpflichtende Information der Bürger aus. Dazu sollte ein "System kompetenter Beratung" aufgebaut werden, etwa über die Krankenkassen. Nach Meinung des Augsburger Weihbischofs Anton Losinger, Mitglied im Deutschen Ethikrat, sollte die Haltung zur Organspende auf der Gesundheitskarte eingetragen werden und jederzeit änderbar sein. Eine Eintragung auf dem Führerschein oder Personalausweis bezeichnete er als nicht ideal. Die Bischöfe stimmen damit weithin mit dem Vorschlag einer Entscheidungslösung ohne Erklärungspflicht überein.



In der Debatte um eine Änderung des Transplantationsgesetzes forderte Fürst ein "Höchstmaß an Transparenz hinsichtlich der Freiwilligkeit" und ein "Höchstmaß an Offenheit" hinsichtlich der Frage des Todeszeitpunkts eines Menschen. Um den Hirntod als Todeszeitpunkt des Menschen gibt es eine Jahrzehnte dauernde Auseinandersetzung. Auch Losinger forderte eine neue transparente Debatte über den Hirntod. Damit werde sich vermutlich auch der Deutsche Ethikrat auf seiner nächsten Jahrestagung befassen. Bislang sehe die Bischofskonferenz aber keine Alternative zum Hirntod-Konzept.



Losinger forderte bessere organisatorische Bedingungen für Krankenhäuser, die sich in der Transplantationsmedizin engagieren. "Derzeit beteiligen sich weniger als die Hälfte der Kliniken an der Meldung potenzieller Organspender", kritisierte er. Gründe seien eine mangelhafte Kostenerstattung, Arbeitsüberlastung, mangelnde Ausbildung und Scheu, mit den Angehörigen über eine Organspende sprechen zu müssen. Der Augsburger Weihbischof sprach sich deshalb für die Einsetzung von Transplantationsbeauftragten in den Kliniken aus. Damit könne der Mangel an Organen vermutlich weitgehend behoben werden.