Missio-Experte Oehring zur Lage der Christen im Nahen Osten

"Nur die Armen bleiben"

Die bedrängte Lage vieler Christen im Nahen Osten war Thema einer Konferenz von Europaabgeordneten und Kirchenvertretern in Beirut. Trotz "Arabischem Frühling" gibt es für die orientalischen Christen wenig Grund zum Optimismus, wie der Konferenzteilnehmer und missio-Nahostexperte Ottmar Oehring berichtete.

 (DR)

KNA: Herr Oehring, die Konferenz in Beirut wurde überschattet von der anhaltenden Gewalt im Nachbarland Syrien. Wohin driftet Syrien?

Oehring: Trotz aller Exzesse könnte Präsident Assad durch Einlenken immer noch einen friedlichen Wandel gestalten und sich vielleicht sogar im Amt halten. Er kann sich ja bis jetzt auch noch auf eine breite Anhängerschaft verlassen. Wenn er aber die Forderungen der Arabischen Liga und der Opposition nach Reformen weiter ignoriert, ist ein Bürgerkrieg wie im Irak nach dem Ende der Herrschaft von Saddam Hussein wahrscheinlich. Unter dem hatten bekanntlich besonders die Christen zu leiden.



KNA: Syrische Kirchenführer klammern sich aber aus Angst vor den Islamisten an das Assad-Regime...

Oehring: ...und schaden damit dem Ansehen der Christen. Viele Gläubige kritisieren ihre Amtskirchen dafür. Anders als in Ägypten beteiligen sich Christen zwar kaum an den Demonstrationen, sie sehnen sich aber nach einem demokratischen Wandel. Unter Assad halten sie den inzwischen für undenkbar, weil er zu oft falsche Versprechungen gemacht hat.



KNA: Andererseits haben sich Christen von der Diktatur auch kaufen lassen, zum Beispiel durch Posten in der Verwaltung. Besteht nicht die Angst, dass eine von den Muslimbrüdern dominierte Regierung nach Assad aus Rache gegen die Christen vorgeht?

Oehring: Die Christen saßen nie an den wirklich wichtigen Schaltstellen in Armee und Geheimdiensten. Natürlich wünscht sich kein Christ eine Regierung der Muslimbrüder. Aber die sind in Syrien längst nicht so stark wie in Ägypten, weil Damaskus sie in der Vergangenheit scharf verfolgte. Bisher gibt es keine Anzeichen für antichristliche Kampagnen. Und nicht nur Minderheiten wie die Christen haben von Assad profitiert, sondern auch Gruppen der sunnitischen Mehrheit wie die städtischen Kaufleute. Die werden erst von Assad abfallen, wenn die Sanktionen gegen Syrien ihnen die wirtschaftliche Grundlage entziehen.



KNA: Am dramatischsten ist die Lage der Christen weiterhin im Irak. Dort haben laut Schätzungen von einst anderthalb Million mehr als eine Million das Land verlassen. Gibt es noch Hoffnung für eine Erholung des christlichen Lebens?



Oehring: Die frühere irakische Migrationsministerin sagte mir bei der Konferenz, an eine Rückkehr der christlichen Flüchtlinge sei nicht mehr zu denken. Immer noch verlassen 50 bis 100 christliche Familien pro Woche den Irak Richtung Syrien aus Angst vor Übergriffen. Wer bleibt, ist zu arm, um die Auswanderung zu bezahlen. Positiv ist, dass sich die islamische Mehrheitsbevölkerung auch schon mal schützend vor die Christen stellt. Aber das ist sehr ortsabhängig.

KNA: Was sind die Motive für die Gewalt gegen die irakischen Christen?



Oehring: Islamistische Beweggründe, religiöser Hass sind immer mehr purer Kriminalität gewichen. Bei Christen vermuten die Täter Geld, oft geht es um Lösegelderpressungen, auch wenn die Familien der Entführten die geforderten Summen niemals aufbringen können.

KNA: Blicken wir in den Libanon. Hier sind die politischen Verhältnisse relativ stabil. Was heiß das für die Christen?



Oehring: Alle blicken nach Syrien und warten ab, weil die Entwicklung im Nachbarland starke Auswirkungen auf die libanesische Politik haben wird. Assad unterstützt als Verbündeter des Iran die schiitische Hisbollah-Miliz, die die Regierung dominiert. Die Christen, überwiegend katholische Maroniten, sind gespalten in Sympathisanten, die ihr eine Chance geben wollen, und Gegner der Hisbollah. Insgesamt herrscht auch im Libanon Endzeitstimmung unter ihnen. Wie in Syrien und dem Irak sitzen sie dort auf gepackten Koffern, während die jungen Leute der christlichen Mittelschicht nachts in den Beiruter Clubs feiern. Fast alle wollen in den Westen, weniger aus Angst vor Islamisten, als aus wirtschaftlichen Gründen. Frankreich und die USA sind die begehrtesten Ziele.



KNA: Auch bei den ägyptischen Kopten hat sich der Exodus gen Westen seit der Revolution immens beschleunigt.

Oehring: Für Frust sorgt da nicht zuletzt die koptisch-orthodoxe Führung unter Papst Schenuda III. selbst, weil sie die zivilgesellschaftlichen Kräfte torpediert. Sie sagt sich: Sieger des Umbruchs ist am Ende das Militär oder die Muslimbrüder, also reden wir nur mit diesen beiden. Das kann jungen Christen, die für die Revolution gekämpft haben, nicht reichen. Mit derart düsteren Aussichten werden immer mehr das Land verlassen.



Das Interview führte Christoph Schmidt.