Umweltminister Norbert Röttgen hält die Stimme der Kirchen für unverzichtbar

Orientierung für die Politik

Es war ein Gespräch unter vier Augen: Am Freitag kamen in Köln Kardinal Meisner und Bundesumweltminister Röttgen zusammen. Über Inhalte des Treffens verrät der CDU-Politiker im domradio.de-Interview nichts. Dafür über sein Verhältnis zu Kirche, seine Partei und überkommene politische Kategorien.

 (DR)

domradio.de: Eine Stunde lang haben Sie mit Kardinal Meisner gesprochen - worüber?

Röttgen: Es war ein Vier-Augen-Gespräch, ein persönliches Gespräch, für das ich dankbar bin. Aber wir wollen darüber nicht kommunizieren. Ich finde es wichtig, dass es eine solche Gesprächsebene gibt: einen vertraulichen Austausch über alle möglichen Themen.



domradio.de: Wie wichtig ist für Sie generell die Stimme der Kirchen im Politik-Alltag?

Röttgen: Sie ist zunächst mal für mich als Mensch und Christ die Stimme meiner Kirche, ich bin ja Teil der Kirche. Aber ich finde es wichtig, dass die Kirche auch Teil der öffentlichen Meinungsbildung ist; dass sie hörbar ist mit dem, was ihre ganz eigene Identität und Unersetzbarkeit ausmacht. Und auch als Orientierung für die Politik. Wir sind ja in einer Zeit fundamentaler Veränderungen, die Viele auch mit Angst erfüllen. Und bei allem, was jetzt technisch notwendig ist, ist der entscheidende Punkt: Was ist unser Ideal? Was ist die Richtung? Wo wollen wir hin? Was macht uns aus? Was sind die Fundamente? Was die Werte? Ich glaube, dass gerade in diesen Zeiten das elementar ist. Und darum ist die christliche Glaubensüberzeugung ein Fundament in schwankenden Zeiten. Und die Stimme der Kirche ist unverzichtbar.



domradio.de: Die CDU hat in den vergangenen Jahren verschiedene Kehrtwenden hingelegt. Der Atomausstieg fällt in Ihren Verantwortungsbereich. Sie selber hatten bereits vor der Laufzeitenverlängerung vorher gewarnt. Mussten Sie an dieser Stelle Ihre eigenen Überzeugungen zurückstellen zugunsten der Partei?

Röttgen: Ich habe meine Überzeugung vertreten. Und ich sehe darin jetzt auch nicht zu allererst eine Kehrtwende. Ja, die CDU hatte sich vorher für die Laufzeitenverlängerung ausgesprochen. Aber das Wichtigste ist für mich, dass wir es jetzt richtig machen; dass wir jetzt in Deutschland zu einer Technologie, die in einem hochindustrialisierten Land wie Japan zu einem Desaster geführt hat, wo wir das Problem der Entsorgung von hochradioaktivem Müll, der Hunderttausende von Jahren noch weiter strahlen wird, noch nicht gelöst haben weltweit, sagen: Wir trauen uns zu, diese Technik zu ersetzen durch bessere Technologien, durch Erneuerbare Technologien, durch mehr Effizienz - das ist doch in jeder Hinsicht richtig. Die Kernenergie als Technologie zu einer Glaubensfrage zu machen - in die Nähe ist es gekommen - war sicher falsch. Jetzt haben wir eine gute Orientierung. Energieversorgung ist eine Lebensader. Und die haben wir jetzt besser gemacht, als sie vorher war. Deshalb habe ich für dieses Kehrtwende-Reden wenig Verständnis. Die Frage ist: Ist jetzt die Weiche richtig gestellt worden? Und die Antwort lautet eindeutig: Ja - für eine bessere, sichere, modernere Zukunft.



domradio.de: Ein anderes Thema der vergangenen Wochen ist der Mindestlohn. Was haben all diese Themen mit dem C, dem Christlichen, in Ihrer Partei zu tun?

Röttgen: Sie haben ganz viel damit zu tun. Die Lohnuntergrenze ist wichtig, damit in einer Marktwirtschaft ein wertbezogener Ordnungsrahmen gilt. Und es ist in einer wohlhabenden Gesellschaft, die wir sind, nicht in Ordnung - es verletzt das Gerechtigkeitsempfinden nahezu aller in unserem Land -, wenn Löhne von drei, vier, fünf Euro bezahlt werden. Gerade die CDU als die Partei der Sozialen Marktwirtschaft, die konzipiert worden ist als eine wertfundierte Wirtschaftsordnung, muss auch deutlich machen, dass das Gerechtigkeitsbemühen in der Sozialen Marktwirtschaft auch heute umso mehr gilt, wo die Menschen verstehen sollen, dass wir, ohne dass die Bürgerinnen und Bürger Verschulden daran tragen, Hunderte von Milliarden Euro als Rettungsfonds installieren müssen, um anderes Versagen zu kompensieren. Und gleichzeitig sollen sie auch noch verstehen, dass man für vier Euro arbeiten muss. Und dann ist es die Verantwortung der Christlich Demokratischen Union als Partei der Sozialen Marktwirtschaft, hier dies auch zu korrigieren.



domradio.de: Wenn Sie als CDU immer mehr in die politische Mitte wandern, provozieren Sie damit das Entstehen einer Partei rechts von der CDU für die Konservativen in Deutschland, die sich nicht mehr gut aufgehoben fühlen?

Röttgen: Die früheren Einteilungen von Links, Mitte und Rechts sind ziemlich überholt in der Globalisierung, wo sich ganz neue Fragen stellen. Es geht mehr darum, ob die Parteien heute in der Lage sind, ihre eigene Identität nicht aufzugeben und zu bewahren und anzuwenden auf die modernen Probleme von heute. Die Bürger fragen nicht nach Links, Rechts, Mitte, sondern: Wer seid Ihr? Und dann würde ich für die CDU sagen: Wir sind die Partei des christlichen Menschenbildes, wir sind die Partei der Sozialen Marktwirtschaft, und wir sind Europapartei. Das ist unsere Identität, das macht uns aus. Und mit dieser Identität und diesen Wertüberzeugungen versuchen wir den Problemen von heute eine Antwort zu geben; eben nicht nur diejenigen zu sein, die hinterherrennen, wenn die Finanzmärkte wieder etwas Neues verkünden, sondern die fragen, wie können wir die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft auf die Kapitalmärkte heute anwenden.



Das Gespräch führte Christian Schlegel.