Ein Dokumentarfilmer begleitete die Oberammergauer Passion 2010

Die größte Geschichte aller Zeiten

Mit dem Pestgelübde von 1633 fing alles an. Seitdem bringen die Oberammergauer alle zehn Jahre die "größte Geschichte aller Zeiten" auf die Bühne - die Geschichte vom Leiden und Sterben Jesu. 2.000 Einheimische spielen mit - fast das halbe Dorf. Heute läuft ein Film in den deutschen Kinos an, der einen faszinierenden Blick bietet hinter die Kulissen dieser berühmtesten Passionsspiele der Welt.

Autor/in:
Barbara Just
 (DR)

Vielleicht war es Zufall, dass Jörg Adolph bei einer Zugfahrt im Sommer 2008 einen alten Freund traf, vielleicht aber auch höhere Fügung. Der Oberammergauer erzählte Adolph von den Vorbereitungen auf das Passionsspiel 2010 - und das ziemlich enthusiastisch. Fast die Hälfte der Bewohner des Ortes stehe nach zehn Jahren wieder auf der Bühne, um das Leiden und Sterben Jesu darzustellen, wie es ihre Vorfahren 1633 während einer Pestepidemie gelobt hatten. Der Herforder Dokumentarfilmer war fasziniert.



Mit der Kamera hatte er bereits das Entstehen eines Romans und einer Popmusik-Platte begleitet, nun wollte der heute 44-Jährige die Inszenierung der "Größten Geschichte aller Zeiten" filmisch dokumentieren. Das Ergebnis ist ab 17. November bundesweit unter dem Titel "Die große Passion" in den Kinos zu sehen. Aus mehr als 300 Stunden Material ist ein zweieinhalbstündiger Film entstanden. Darin kann der Zuschauer mitverfolgen, wie die Oberammergauer ab dem "Haar- und Barterlass" vom Aschermittwoch 2009 das Großereignis Passionsgeschichte auf die Beine stellen - immer ambitioniert, bisweilen aber auch an den Grenzen der Belastbarkeit.



Langweilig wird es nie

Die Auswahl der Stoffe durch Bühnenbildner Stefan Hageneier in Indien gehört genauso zum Kontext wie die Israelreise der Hauptdarsteller, die Textübergabe an Kardinal Reinhard Marx oder die Papstaudienz in Rom. 200 Drehtage in eineinhalb Jahren hat das kleine Team um Regisseur Adolph mit Kameramann Daniel Schönauer absolviert. Allein 46 Mal drehten sie beim Jour Fixe mit, wenn Spielleiter Christian Stückl, Dramaturg Otto Huber, Bürgermeister Arno Nunn und weitere Hauptverantwortliche Wichtiges besprachen.



"Damals kam alles auf den Tisch", erzählt Produzent Ingo Fliess. Vom Beitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", in dem entnervte Oberammergauer Stückl-Gegner ihren Frust abließen, über das eigentlich verbotene Rauchen des Regisseurs auf offener Bühne bis hin zur sogenannten Idioten-Diskussion: Als die Nerven gut zwei Wochen vor der Premiere bei allen blank lagen, fehlten auf einmal bei der Probe die Ziegen. Aus Kostengründen, hieß es. Zu sehen ist ein sich in Rage redender Spielleiter, der die dafür Verantwortlichen bei der Gemeinde als "Idioten" bezeichnet. Vor einer Schar von Mitwirkenden - und vor laufender Kamera.



Dass solche Ausfälle die Runde machen, versteht sich von selbst. Am Ende wollte der Verursacher die Episode nicht auf sich beruhen lassen. "Es spricht für die Größe von Christian Stückl, dass er uns die Sache nicht angekreidet hat", sagt Fliess. Er entschuldigte sich bei seinem Gegenüber, erklärte seine Reaktion aber auch aus dem Augenblick heraus. "Natürlich hat er sich erwischt gefühlt", sagt Frederik Mayet, einer der beiden Jesus-Darsteller der Passion. Aber eine "Zensur" des Filmmaterials habe der Spielleiter auch nicht gewollt.



Kuriose Momente

Und wie erging es ihm, der Hauptfigur des Stücks, als die Kamera permanent lief? "Ab der ersten Probe, als ich mich auf das Kreuz legen musste, habe ich daran nicht mehr gedacht", sagt Mayet. Auch in anderen Szenen scheinen die Protagonisten völlig zu vergessen, dass sie beobachtet werden. Etwa wenn Stückl mit vollem Einsatz selbst zeigt, wie er sich den zum zweiten Mal unter dem Kreuz stürzenden Jesus vorstellt, und gleichzeitig Maria erklärt, wie sie ihren Sohn anschauen soll.



Und da sind die kuriosen Momente, wenn Dramaturg Huber in seinem Bavarian-English am Telefon erläutert, wie anstrengend die Gespräche über die Textversion mit den Vertretern jüdischer Organisationen gelaufen seien, und mit schrägem Humor meint: "Mir wäre es auch lieber, die Österreicher hätten ihn umgebracht."



Und da ist der stets umhergetriebene Stückl, der zurückgezogen in seinem Haus am Text schreibt, um ihn danach wieder zu löschen.

"Meinst Du, dass der Jesus zufrieden wäre mit uns?", fragt er Dramaturg Otto Huber einmal. Und gibt sich dann selbst die Antwort:

"Ich glaub´, der würde sich kaputtlachen über uns."