Familienbund fordert Nachbesserung bei Pflegereform

Knapper Schritt

Die Pflegereform ist aus Sicht des Familienbundes der Katholiken ein Schritt in die richtige Richtung, der aber noch nicht weit genug reicht. So fehle ein Rechtsanspruch auf Gewährung der Pflegezeit und ein Rückkehrrecht für den Job, zählt Elisabeth Bußmann, Präsidentin des Familienbundes, im domradio.de-Interview auf. Das Bundeskabinett hatte zuvor Eckpunkte der Pflegereform verabschiedet.

 (DR)

"Das reicht nicht aus, um gerade die Bedarfe der pflegenden Angehörige auch entsprechend aufzufangen", sagte Bußmann am Mittwoch gegenüber domradio.de. Die Bedürfnisse der pflegenden Angehörigen dürften nicht den Anforderungen der Arbeitswelt untergeordnet werden. Als Beispiel führte Bußmann den fehlenden Rechtsanspruch auf Gewährung der Pflegezeit auf. "Das war damals vom Familienministerium so vorgesehen, die Familienverbände haben das miteingefordert, aber das war offensichtlich nicht durchzusetzen und damit ist das eine freiwillige Gewährung seitens der Arbeitgeber."



Forderung: Verlängerung der Pflegezeit

Der Familienbund der Katholiken fordert bessere Rahmenbedingungen für Pflegende, besonders für Beschäftigte, die vorrübergehend oder ganz aus dem Berufsleben aussteigen, um eine Pflege zu übernehmen. Außerdem sei eine Verlängerung der Pflegezeit nötig. Zwei Jahre reichten nicht aus, im Durchschnitt würde ein Mensch viereinhalb gepflegt. "Wir fordern deswegen auch eine Verstärkung der Angebote von der häuslichen Pflege und eine bessere Finanzierung." Bußmann forderte auch mit Blick auf den demografischen Wandel eine stärkere gesellschaftliche Diskussion.



Das Bundesfamilienministerium hat am Mittwoch erneut den fehlenden Rechtsanspruch bei der Familienpflegezeit verteidigt. Diesen gebe es nicht, da er aufgrund der Kleinunternehmerklausel bei Unternehmen mit bis zu 15 Mitarbeitern keine Anwendung fände, sagte der Staatssekretär des Bundesfamilienministeriums, Josef Hecken (CDU), am Mittwoch in Berlin bei der Tagung "Familienpflegezeit-Herausforderungen und Chancen". 40 Prozent der Beschäftigten in Deutschland wären damit von einem Rechtsanspruch ausgeschlossen worden. Ohnehin gehe er immer mit der Bedingung einher, dass betriebliche Gründe diesem nicht entgegenstünden.



Hecken betonte, dass in den tariflich gebundenen Unternehmen mit den Vereinbarungen in den Tarifverträgen der Anspruch auf die Leistung geregelt sei. Gleichzeitig räumte er ein, dass es seitens der Politik zusätzlich zur Familienpflegezeit künftig noch weitere Projekte wie etwa die Förderung von Nachbarschafts- und Freundesnetzwerken in der Pflege geben müsse.



Studie: 56 Prozent der Unternehmer wollen bei Pflege nachbessern

Nach Angaben der Pflege-Expertin des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Cornelia Upmeier, wollen 56 Prozent der Unternehmen mehr Maßnahmen für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf ergreifen. Sie äußerte sich mit Verweis auf Mitarbeiterbindung und die Möglichkeit zum Erhalt der Arbeitskraft zuversichtlich, dass ein Großteil der Unternehmen die Familienpflegezeit anbieten werde.



Die Familienpflegezeit sieht vor, dass Beschäftigte ihre Arbeitszeit für höchstens zwei Jahre auf bis zu 15 Stunden pro Woche verringern können, um Angehörige zu pflegen. Wird zum Beispiel die Arbeitszeit in der Pflegephase von 100 auf 50 Prozent reduziert, erhalten die Beschäftigten weiterhin 75 Prozent des letzten Bruttoeinkommens. Zum Ausgleich müssen sie später wieder voll arbeiten, bekommen aber weiterhin nur 75 Prozent des Gehalts - so lange, bis das Zeitkonto wieder ausgeglichen ist. Das Gesetz soll Anfang 2012 in Kraft treten.



Die Pflegereform soll nach den Worten von Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) vor allem Demenzkranken entgegenkommen und pflegende Familienangehörige entlasten. Das Bundeskabinett verabschiedete dazu am Mittwoch Eckpunkte, die den jüngsten Koalitionsbeschluss weitgehend übernehmen. Demnach soll der Betragssatz zur Pflegeversicherung ab 1. Januar 2013 um 0,1 Prozent steigen. Bahr erwartet sich dadurch 1,1 Milliarden Euro zusätzliche Mittel. Grüne und SPD werteten die Beschlüsse als ein Scheitern der Regierung, die Verbände kritisierten die Eckpunkte als unzureichend.



Reform soll im ersten Halbjahr 2012 in Kraft treten

Die Reform soll nach Bahrs Angaben bereits im ersten Halbjahr 2012 in Kraft treten. Damit könnte es bereits vor der Beitragserhöhung zu ersten Verbesserungen kommen. Derzeit sind 2,4 Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig. Laut Ministerium wird ihre Zahl in wenigen Jahrzehnten auf rund vier Millionen steigen.



Die Reform wird aber noch keinen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff umfassen. Ihn soll nach Bahrs Worten ein Beirat noch in dieser Legislaturperiode erarbeiten. Dieses Vorhaben gehörte bislang zu den Kernanliegen einer Reform, um die 1,4 Millionen Demenzkranken besser zu berücksichtigen. Bisher orientieren sich die Leistungen im Wesentlichen an körperlichen Gebrechen, nicht aber an geistigen. So sollen die Demenzkranken nun "im Vorgriff" kurzfristig besser Leistungen erhalten. Das gelte vor allem für die Pflegestufen null und eins, sagte Bahr.



Laut Eckpunktepapier sollen Pflegebedürftige künftig zwischen Leistungseinheiten und Zeiteinheiten frei wählen können. Die bestehenden "starren Leistungspakete" entsprächen nicht den Bedürfnissen, sagte Bahr. Ferner will der Minister die Rehabilitation stärken, die medizinische Versorgung in Heimen sowie die Beratung verbessern und Bürokratie abbauen. Nach dem Grundsatz "ambulant vor stationär" sollen ambulante Wohnformen gefördert werden. Pflegende Angehörige sollen laut Eckpunktepapier künftig leichter eine "Auszeit" nehmen können oder eine Rehabilitation erhalten. Werden mehrere Personen gepflegt, soll dies in der Rente Berücksichtigung finden.



Mit der Reform will Bahr ferner die Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessern und den Pflegeberuf aufwerten. Zur Finanzierung will der Minister die private Vorsorge ab 2013 steuerlich fördern. Über die nähere Ausgestaltung sei er im Gespräch mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU).



Die SPD-Gesundheitspolitikerin Hilde Mattheis nannte die Eckpunkte "eine Katastrophe" für die Demenzkranken in Deutschland. Sie warf Bahr vor, er spiele auf Zeit. Nach Einschätzung des Grünen Fraktionsvize Fritz Kuhn ist die Regierung "an der Pflegereform gescheitert". Sie gehe die wesentlichen Herausforderungen nicht an, "nämlich eine solide und nachhaltige Finanzierung und die überfällige Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs".



Kritik: Kabinettsbeschluss ist "vage und mutlos"

Der Paritätische Wohlfahrtsverband kritisiert den Kabinettsbeschluss als vage und mutlos. Inhaltlich würden mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Caritas-Präsident Peter Neher forderte "eine zügige Umsetzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs". Nur dies mache eine echte Reform aus. Auch stehe eine nachhaltige Finanzierung der Pflegeversicherung aus. "Menschen mit niedrigem Einkommen oder im Hartz-IV-Bezug können sich eine private Zusatzversicherung einfach nicht leisten".



Auch die Deutsche Hospiz Stiftung griff den Beschluss der Regierung an. Die Hoffnungen, die der Koalitionsvertrag geweckt habe, seien damit beerdigt worden, sagte der Geschäftsführende Vorstand Eugen Brysch. Eine zukunftssichernde Pflegereform werde es in dieser Legislaturperiode nicht geben. "Es ist an der Zeit, dass die junge Generation auf die Barrikaden geht. Das heute zum Reißen gespannte Netz wird, wenn sie zum Pflegefall wird, keine Sicherheit mehr bieten."



Der Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), Bernd Meurer, äußerte sich erfreut über die Eckpunkte. Er sehe darin aber nur "den allerersten Schritt in Richtung einer Pflegereform". Nach Ansicht von SoVD-Präsident Adolf Bauer reichen die Beschlüsse "bei weitem nicht aus, um die Pflege umfassend zu reformieren".