Studie zur Lage von Religion und Glaube in Deutschland

Verändert, nicht verschwunden

Die Gesellschaft wird immer säkularer, Rationales ist wichtiger als Glauben, die Religion wird zurückgedrängt - und trotzdem ist Deutschland eine "Glaubensrepublik", sagt Matthias Drobinski. Warum, erläutert der Redakteur der Süddeutschen Zeitung im Interview mit domradio.de.

 (DR)

domradio.de: Sie haben die Lage von Religion und Glaube in Deutschland untersucht  und ihre Studie "Glaubensrepublik Deutschland" genannt. Warum"?

Drobinski: Vor 20 Jahren waren noch 70 Prozent der Deutschen Mitglied einer Kirche, heute sind es noch 60 Prozent. Diesen Prozess gibt es - aber er verläuft sehr paradox: Interessanterweise sind Glaubenshaltungen vielleicht sogar wichtiger geworden. Glaube verschwindet nicht einfach, sondern verändert sich. Natürlich gibt es Leute, die sagen, ein Glaubenswissen ist nicht mehr vorhanden. Dafür gibt es aber überraschend viel Glaube, den wir auf unserer Reise durch Deutschland gesehen haben.



domradio.de: Aber es bleibt dabei: die Gesellschaft entfernt sich immer mehr von allem Religiösen. Sie selbst schreiben ja auch in dem Buch, es sei peinlich geworden, religiös zu leben und sich "vor Gott zu werfen". Aber wird Religion wirklich immer unwichtiger?

Drobinski: Unwichtig wird sie nicht. Religion ist eine der großen Kräften, die Menschen zu Dingen bringt oder sie von ihnen abhält, die Menschen begründet und sie dazu führt, dass sie sich solidarisch und partnerschaftlich verhalten. Das ist die eine Variante. Die andere Seite ist die dunkle des Glaubens, den Fundamentalismus. In Zeit der Säkularisierung werden solchen Strömungen stärker, auch das merkt man. Bei Christlichen gibt es diese Prozesse. Bei Muslimen ist das auch eine Strömung, die da ist. Verbunden mit etwas, das wir Christen gar nicht mehr so richtig kennen, nämlich der Angst vor dem Teufel; die Angst, an jedem einzelnen Haar in der Hölle aufgehängt zu werden, wenn man kein Kopftuch trägt. Das hat uns eine Frau erzählt, die nicht ungebildet ist: eine Juristin, die sagt, "das wird erzählt, und ich merke, wie das bei mir wirkt".



domradio.de: In gewisser Weise ein Geschäft mit der Angst?

Drobinski: Natürlich ist Religion auch immer ein Geschäft mit der Angst davor, nicht erlöst zu werden. Das gehört zu allen Religionen dazu. Wir Christen haben uns das eher abgewöhnt. Wir haben eher die Vorstellung, Gott ist jemand, der uns Leben leitet und mit dem wir gut leben können, der uns zeigt, wo es lang geht im Guten wie im Schlechten.



domradio.de: Stichwort Entwicklungen zum Schlechten: Nach der Missbrauchsaffäre steckt die katholische Kirche in einer Identitätskrise, leidet vor allem unter immer weniger Zustimmung. Die Kirche und die kirchlichen Gruppen und Vereinigungen versuchen durch einen Dialogprozess Gräben zu beseitigen, die innerhalb der Kirche entstanden sind. Was sagen die Ergebnisse ihrer Studie zur Lage der Kirche?

Drobinski: Der katholischen Kirche gelingt es im Augenblick der Krise nicht zu sagen, wir finden einen einheitlichen Weg. Stattdessen haben die Konflikte zugenommen: Die einen sagen, es ist wichtig, ganz besonders streng zu glauben und zu zeigen, dass wir katholisch sind. Die anderen sagen, wir müssen den Prozess der Verheutigung des Glaubens noch mal neu durchführen. Zwei sehr unterschiedliche Positionen, die sich im Moment in der katholischen Kirche unversöhnlich gegenüber stehen. Und auf beiden Seiten ist die Aggressivität gestiegen. Fast ist es so, als hätten diese beiden Gruppen die gemeinsame Sprache verloren. Ein bedenklicher Prozess.



Hintergrund: Matthias Drobinski hat gemeinsam mit Claudia Keller eine Studie mit dem Titel "Glaubensrepublik Deutschland" verfasst und dabei die Lage von Religion und Glaube in Deutschland untersucht. Die Studie ist im Herder Verlag erschienen und kostet 16,95 Euro.



Das Gespräch führte Birgitt Schippers. Hören Sie es hier in voller Länge nach.