Präses Schneider verteidigt eigene Regeln im Arbeitsrecht

Kirchliche Sonderwege

In Kirche und Diakonie soll es weiter keine Arbeitskämpfe geben. Ein entsprechendes Kirchengesetz hat die EKD-Synode beschlossen. EKD-Ratspräsident Schneider verteidigt den kirchlichen Sonderweg im Arbeitsrecht. Die bisherige Regelung habe die kirchlichen Mitarbeiter gut gestellt. Nach dem in Deutschland geltenden Recht dürfen die Kirchen von ihren Mitarbeitern besondere Loyalität einfordern.

Autor/in:
Thomas Schiller, Karsten Frerichs
 (DR)

Gegen Ausgliederungen und Leiharbeit

Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beschloss am Mittwoch zum Abschluss ihrer Jahrestagung in Magdeburg ein Kirchengesetz, das ausdrücklich das umstrittene Streikverbot und den Verzicht auf Aussperrungen vorsieht. Zugleich wandte sich das Kirchenparlament in einer Erklärung gegen Missstände in Unternehmen der Diakonie. So sollen Ausgliederungen mit dem Ziel der Lohnsenkung sowie Leiharbeit, die feste Arbeitsplätze ersetzt, nicht länger hingenommen werden.



Bei den Kirchen werden Löhne und Gehälter nicht zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften ausgehandelt. Das Grundgesetz erlaubt ihnen, einen tariflichen Sonderweg zu gehen, der eine Konfliktlösung im Konsens anstelle von Arbeitskämpfen vorsieht. Fast flächendeckend gilt der sogenannte Dritte Weg. Über Bezahlung und Arbeitsbedingungen entscheiden Arbeitsrechtliche Kommissionen, die paritätisch mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern besetzt sind.



Präses Schneider verteidigt Dritten Weg

In den vergangenen Monaten hatte die Dienstleitungsgewerkschaft ver.di mehrfach gegen das Arbeitsrecht in Kirche und Diakonie protestiert und ein Streikrecht gefordert. Für das nächste Jahr wird dazu ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts erwartet.



Das Prinzip des sogenannten Dritten Weges, das sowohl Streiks als auch Aussperrungen ausschließt, sichere ein gutes Niveau bei Bezahlung und Altersversorgung, hatte vor dem Beschluss Präses Nikolaus Schneider, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gesagt.



"Kein gesellschaftlicher Akteur wie alle anderen"

Die evangelische Kirche beruft sich im Arbeitsrecht auf das Grundgesetz, wonach sie ihre Angelegenheiten selbst regeln darf. "Wir sind kein gesellschaftlicher Akteur wie alle anderen auch", sagt Schneider.



Den Arbeitsgerichten fehle die Kompetenz zu entscheiden, in welchen Fragen die kirchliche Verkündigung betroffen sei. "Aber einzelne Arbeitsgerichte beginnen nun, über diese für uns entscheidende Frage zu urteilen", erklärte der oberste Repräsentant der rund 24 Millionen Protestanten in Deutschland. "Das können wir so nicht akzeptieren."





Besondere Loyalität

Nach dem in Deutschland geltenden Recht dürfen die Kirchen eigene Regeln im Arbeitsrecht festlegen und von ihren Mitarbeitern besondere Loyalitäten gegenüber Grundsätzen ihrer Glaubensgemeinschaft einfordern. So gelten etwa auch die Möglichkeiten von Streiks und Aussperrung nicht für die Kirchen. Alle Fragen des Tarifrechts werden durch paritätisch aus Dienstgebern und Dienstnehmern besetzte Kommissionen geregelt.  



Während ver.di eine Gleichstellung von rund 1,3 Millionen Mitarbeitern der Kirchen und ihrer Sozialverbände mit der Privatwirtschaft oder dem öffentlichen Dienst fordert, bezweifelt Präses Schneider, dass alle diakonischen Einrichtungen zu Tarifverträgen mit den Gewerkschaften bereit wären. "Wir würden eine völlig zersplitterte Landschaft bekommen, die auf eine Absenkung des sozialen Niveaus hinauslaufen würde", warnt der EKD-Ratsvorsitzende. Schneider unterstrich zugleich, dass die Kirche weiter auf ein Konsens-System mit ihren Beschäftigten setze. "Wir leben seit 30 Jahren ohne Aussperrung und Streik", sagte der rheinische Präses.



"Wir leben seit 30 Jahren ohne Aussperrung und Streik"

Schneider räumte ein, dass einige diakonische Einrichtungen das Prinzip der sogenannten Dienstgemeinschaft durch Leiharbeit und die Ausgründung von Unternehmensteilen aushöhlen. Er verwies auf eine vom EKD-Rat in Auftrag gegebene Untersuchung, um die Missstände zu erheben. Die öffentliche Nennung von diakonischen Betrieben, die gegen die kirchlichen Prinzipien verstoßen, lehnt Schneider aber ab: "Ich will keinen Pranger eröffnen." Mit dem neuen Kirchengesetz sollten Missbrauch unterbunden und ein einheitlicher Maßstab für die 22 Landeskirchen der EKD und ihre diakonischen Einrichtungen geschaffen werden.



Der kirchliche Sonderweg ist rechtlich mehrfach bestätigt worden. So können die Kirchen Mitarbeiter für ein Verhalten außerhalb des Dienstes entlassen, das den Werten und Prinzipien ihrer Glaubensgemeinschaft widerspricht. Nach kirchlichem Verständnis ist der Kirchenmitarbeiter nicht nur Arbeitskraft. Er ist Teil der Kirche, muss in ihrem Sinne wirken und sich an ihre Grundsätze halten.



Ursprung: Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung

Dass die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ein eigenständiges Arbeitsrecht erlassen können, hat seine Grundlage in den Kirchenartikeln der Weimarer Reichsverfassung, die 1949 ins Grundgesetz übernommen wurden. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Recht 1985 noch einmal in einer Grundsatzentscheidung bestätigt. Auch im 2006 in Kraft getretenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das eine Diskriminierung von Arbeitnehmern etwa wegen ihrer sexuellen Orientierung oder wegen ihrer Religionszugehörigkeit verbietet, haben die Kirchen entsprechende Sonderrechte zugesprochen bekommen.



Die Loyalitätspflichten sind im Bereich der katholischen Kirche in der "Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse" und im Bereich der Evangelischen Kirche in der "Loyalitätsrichtlinie" geregelt. Den weltanschaulich neutralen staatlichen Gerichten ist verwehrt, diese kircheninternen Lehren auf ihre Sinnhaftigkeit zu überprüfen. Sache der Gerichte ist "nur" die Beurteilung, ob diese religiöse Begründung plausibel und nicht willkürlich ist.



Vor dem Bundesarbeitsgericht scheiterten bereits in den 70er und 80er Jahren Kindergärtnerinnen katholischer Einrichtungen und eine Lehrerin an einem Missionsgymnasium mit ihren Klagen. So hatte das Bundesarbeitsgericht 2004 die Kündigung eines katholischen Kirchenmusikers für wirksam erklärt, dessen Wiederverheiratung nach der Einstellung nachträglich bekanntwurde.