Grüne fordern neben Aufklärung vor allem bessere Ausbildung

Strategien gegen Zwangsheirat

Die Bundesregierung will Schulen und muslimische Einrichtungen stärker einbeziehen, um junge Frauen und Männer vor einer Zwangsverheiratung zu schützen. Das ist eine erste Konsequenz aus der Studie zur Zwangsehe in Deutschland. Im domradio.de-Interview nennt Ekin Deligöz von der Grünenbundesfraktion weitere Aspekte: "Wer die deutsche Sprache beherrscht, wer eine ökonomische Unabhängigkeit, eine gute Berufsausbildung hat, fängt an sich zu wehren und da müssen wir hinkommen."

Rund 830 Beratungsstellen gaben Auskunft über Zwangsehen in Deutschland (KNA)
Rund 830 Beratungsstellen gaben Auskunft über Zwangsehen in Deutschland / ( KNA )

Den Vorwurf, dass Zwangsheirat ein islamisches Problem sei, wies Ekin Deligöz am Mittwoch gegenüber domradio.de zurück. "Zunächst einmal hat es nichts mit der Religion zu tun. Ich wüsste auch kein Gebot, was im islamischen Recht darauf hinweist", machte Deligöz klar. Zwangsehen seien vielmehr im Zusammenhang mit einem religiösen Fundamentalismus, einer bestimmten sozialen Lage und einer Bildungsferne zu sehen.



Deligöz: Frauen haben es schwerer auszubrechen

Im Gegensatz zu Männern hätten betroffene Frauen oft nicht die Möglichkeiten gegen Gewalt und Drohungen vorzugehen, sie seien viel stärker ökonomisch abhängig und lebten in traditionellen Familienstrukturen. Den Frauen fehlten die Alternativen, um auszubrechen oder andere soziale Kontakte einzugehen, um sich aus dieser Situation zu befreien, urteilte Deligöz.



Neben einer besseren Aufklärungsarbeit fordert Deligöz eine bessere Unterstützung der Opfer, auch die Finanzierung für Frauenhäuser müsse auf stabile Füße gestellt werden. Die Grünenpolitikerin begrüßte die vom Familienministerium in Auftrag gegebene Studie zur Zwangsverheiratung.



Studie des Familienministeriums

Familienministerin Kristina Schröder (CDU) hatte zuvor in Berlin die Studie  "Zwangsverheiratung in Deutschland - Anzahl und Analyse von Beratungsfällen" vorgelegt. Aus ihr geht hervor, dass vor allem sehr junge Frauen, die häufig noch zur Schule gingen, davon bedroht sind, gegen ihren Willen und zum Teil auch mit physischer Gewalt in eine Ehe gezwungen zu werden.



Der Untersuchung zufolge stammen fast zwei Drittel der Opfer von Zwangsehen (59,4 Prozent) aus stark religiös geprägten Migrantenfamilien. Knapp die Hälfte (44 Prozent) der Zwangsverheirateten oder davon Bedrohten waren deutsche Staatsbürger.



830 Beratungsstellen und Organisationen gaben Auskunft

Die Studie beruht auf der Befragung von 830 Beratungsstellen, von Migrantenorganisationen und Schulen. Insgesamt wurden 2008 in den Beratungsstellen 3.443 Fälle von Zwangsehen registriert. Die Eltern der Betroffenen sind zu mehr als 80 Prozent Muslime.



Der Zusammenhang mit dem Islam dürfe nicht geleugnet werden, sagte Schröder, warnte aber zugleich vor Pauschalurteilen. Die Muslime sollten selbst zu einer Lösung des Problems beitragen. So müssten islamische Autoritäten in Deutschland es noch stärker als ihre Aufgabe begreifen, Eheschließungen unter Zwang zu verweigern. Die Ministerin wies aber auch darauf hin, dass die Studie nicht repräsentativ für alle Migranten muslimischer Herkunft in Deutschland ist.



Da viele Betroffenen noch zur Schule gingen, sei es nötig, das Thema stärker in den Schulalltag zu integrieren, sagte Schröder. An zwei Drittel der befragten Schulen sei Zwangsverheiratung bislang kein Thema.



"Nur die Mutigen lassen sich beraten"

Familienministerin Schröder, sagte die Studie sei nicht repräsentativ. Sie sei aber die erste bundesweite Untersuchung, die wichtige Anhaltspunkte zu dem Phänomen der Zwangsverheiratung liefere. Wie viele Menschen in Deutschland tatsächlich betroffen seien, sei wegen der hohen Dunkelziffer nicht festzustellen.



Die über Beratungsstellen und Frauenhäuser ermittelten Zahlen zeigten auch, dass sich "nur die Mutigen" Rat holten. Viele andere seien vermutlich von der Familie so "eingeschüchtert", dass sie sich keine Hilfe suchten.



Schröder kündigte an, ein Hilfstelefon für Frauen und Männer einzurichten, die von Zwangsverheiratung bedroht oder bereits betroffen sind. Der Anschluss solle rund um die Uhr besetzt werden, Gesprächsangebote in Fremdsprachen machen und Hilfe vor Ort vermitteln. Die Leitung solle Ende 2012 stehen.



Zudem will Schröder Lehrer dafür sensibilisieren, damit sie jungen Migranten in einer Krisensituation helfen können. Heute herrsche vielfach die Meinung, Zwangsehe spiele im Schulalltag keine Rolle. "Das muss sich dringend ändern", sagte Schröder. Die Bundesregierung wolle auch auf die "muslimischen Autoritäten" in Deutschland einwirken, damit diese Zwangsverheiratungen verweigern und dagegen einschreiten.



Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, sagte, an Lösungen müssten auch die Herkunftsländer beteiligt werden. Es gebe dazu Kontakte zur türkischen Regierung.



Schröder macht es sich für Grüne zu einfach

Die Grünen warfen der Regierung vor, zu wenig gegen Zwangsverheiratung zu tun. Mit einem Krisentelefon mache Schröder es sich zu einfach. Es müsse eine dauerhafte Bund-Länder-Arbeitsgruppe geben, die verbindliche Regeln für länderübergreifende Hilfen vereinbare, forderten die Abgeordneten Memet Kilic und Monika Lazar.