Harmonischer Festakt in Berlin zum 50. Jahrestag des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens

Streit bleibt hinter den Kulissen

Beim Festakt zum 50. Jahrestag des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens haben Bundeskanzlerin Merkel und der türkische Ministerpräsident Erdogan Streitfragen ausgeklammert. Zuvor hatte harsche Kritik Erdogans an der deutschen Integrationspolitik bei der Bundesregierung Verärgerung ausgelöst. In Berlin bekundete Erdogan: "Wir gehören zusammen."

Autor/in:
Nikolaus Sedelmeier
 (DR)

Merkel nannte auf dem Festakt im Auswärtigen Amt eine gelungene Integrationspolitik "mitentscheidend für die Zukunft unseres ganzes Landes". Es sei "zwingend", dass Zuwanderer die deutsche Sprache lernen. Integration sei allerdings "immer eine Gemeinschaftsleistung" beider Seiten. "Das Zusammenleben ist immer ein Geben und Nehmen", betonte Merkel. Ausdrücklich lobte die Kanzlerin die Entschlossenheit der Türken, die vor 50 Jahren die Chancen des Anwerbeabkommens nutzten: "Das war ein mutiger Schritt."



Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) würdigte die "Erfolgsgeschichten" der Zuwanderer vor 50 Jahren, die inzwischen in dritter Generation in Deutschland leben: "Die meisten haben ihren festen Platz in der deutschen Gesellschaft gefunden."

Erdogan: "Wir gehören zusammen"



"Wir gehören zusammen"

Erdogan bekannte sich auf dem Festakt ausdrücklich zur Integration der Türken in der Bundesrepublik. Zugleich lud er alle Deutschen ein, die türkische Staatsbürgerschaft zu erwerben. "Wir gehören zusammen", sagte der Ministerpräsident auf Deutsch.



In der "Bild"-Zeitung hatte Erdogan zuvor der Bundesregierung Fehler bei der Integration türkischstämmiger Zuwanderer vorgeworfen. "Die deutsche Politik würdigt die Verflechtung der drei Millionen Türken in Deutschland nicht genug". Vehement kritisierte er die deutsche Gesetzgebung, wonach türkische Angehörige vor dem Zuzug in die Bundesrepublik die deutsche Sprache erlernen müssen. "Wer Deutschkenntnisse zur wichtigsten Voraussetzung erklärt, verletzt die Menschenrechte", kritisierte Erdogan.



Böhmer weist Vorwürfe Erdogans zurück

Die Integrationsbeauftragte der Regierung, Maria Böhmer (CDU), wies die Vorwürfe Erdogans als "kontraproduktiv" zurück. Der türkische Staat müsse lernen, die Migranten in unserem Land "loszulassen". Hilfreich wäre eine klare Botschaft aus Ankara: "Wir unterstützen euch auf dem Weg zu einem selbstbestimmten und erfolgreichen Leben in Deutschland."



Von grundlegender Bedeutung für das Gelingen von Integration sei die Beherrschung der deutschen Sprache. "Die Behauptung Erdogans, der Sprachnachweis im Herkunftsland sei ein Verstoß gegen die Menschenrechte, weise ich nachdrücklich zurück", sagte Böhmer und fügte hinzu: "Das Gegenteil ist der Fall: Die Deutschkurse in der Türkei haben sich als außerordentlich hilfreich bewährt."



Erdogan wirbt für EU Beitritt

Auf dem Festakt im Auswärtigen Amt warb Erdogan eindringlich für einen EU-Beitritt seines Landes. Er hoffe, dass Deutschland sein Land auf dem Weg nach Brüssel "am stärksten unterstützt". Der türkischen Ministerpräsident warnte davor, "kleinkarierte Rechnungen" aufzustellen: "Wir sollten eine große europäische Vision haben."



In der "Bild"-Zeitung hatte Erdogan der Bundesregierung zuvor zu wenig Unterstützung beim geplanten Beitritt seines Landes zur Europäischen Union vorgeworfen: "Die deutsche Politik müsste viel mehr für den EU-Beitritt der Türkei tun, weil er die Integration massiv vorantreiben würde. Weil wir Türken so viel Positives für Deutschland empfinden, fühlen wir uns gerade hier im Stich gelassen."



Nach dem Festakt wollten Merkel und Erdogan zu einem persönlichen Gespräch zusammenkommen.



Kritik der Alevitschen Gemeinde an Erdogan

Die Alevitische Gemeinde Deutschland hat unterdessen die türkischen Regierung scharf krisiert. Sie warf dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan vor, "mit zunehmender Tendenz in einer menschenrechtsverletzenden Haltung gegenüber religiösen, kulturellen und ethnischen Gemeinschaften" zu verharren. Zugleich lasse Erdogan aber keine Gelegenheit aus, seine Landsleute "vor einer möglichen Assimilation und Vereinnahmung durch die Staaten, in denen sie leben, zu warnen", hieß es in einem offenen Brief.



Die Gründe der Zuwanderung nach Deutschland seien "keineswegs nur wirtschaftlicher Natur" gewesen, heißt es in dem Schreiben. "Viele Menschen verließen ihre alte Heimat in der Türkei aufgrund von staatlicher Willkür, Verfolgung und Folter". Repressionen gegenüber religiösen und ethnischen Gemeinschaften sowie Verletzungen der Presse- und Versammlungsfreiheit hätten zusätzlich die Flucht aus der Heimat verstärkt. Für diese Gemeinschaften sei Deutschland "weniger ein Ort der ökonomischen Unabhängigkeit, sondern mehr ein Ort der Freiheit".