Warum die Grünhelme Afghanistan den Rücken kehren

Abschied wider Willen

Der Gründer des Friedenscorps Grünhelme, Rupert Neudeck, hat den Abzug der Hilfsorganisation aus Afghanistan angekündigt. Gleichzeitig übt er erhebliche Kritik an der afghanischen Regierung. Diese schere sich nicht um das Volk und tue nichts für die Entwicklung des Landes. Im domradio.de-Interview begründet Neudeck seine Vorwürfe.

 (DR)

domradio.de: Die Grünhelme ziehen sich aus Afghanistan zurück, warum tun sie das?

Rupert Neudeck: Wir haben zwei Gründe: Einmal herrscht eine zunehmende Unsicherheit - davon ist ja in der deutschen Öffentlichkeit sehr viel die Rede. Die Tatsache, dass ganz viele ISAF-Truppen aus europäischen Ländern, aus NATO-Ländern dort sind, hat nicht zu einer größeren Sicherheit, sondern zu einer größeren Unsicherheit geführt. Wir können kaum noch deutsche Mitarbeiter dorthin schicken. Der zweite Grund ist ein wichtigerer: Diese Regierung hat es versäumt, im Lande Bedingungen herzustellen, auf die sich die Menschen verlassen können. Man geht in der Bevölkerung davon aus, dass eigentlich fast alles, was die Regierung in Kabul tut, mehr oder minder in ihre eigene Tasche gerät und sie sich so sehr auf die internationale Staatengemeinschaft in Gestalt von staatlichen Entwicklungsprojekten, von UNO-Projekten, aber auch von Nichtregierungsorganisationen, wie zum Beispiel  den Grünhelmen, verlässt, dass sie gar keinen eigenen Aufbau der Gesellschaft und des Staates betreibt. Das ist ein Grund für uns zu sagen: Wir müssen dort diese Arbeit zumindest unterbrechen, wenn nicht ganz aufhören.



domradio.de: Das heißt aber auch, dass jetzt Menschen auf die Hilfe verzichten müssen?

Neudeck: Wir sind im Moment dabei, einen Distrikt ganz schulfertig zu machen, das wird in den nächsten Tagen und Wochen geschehen. Und danach haben wir eigentlich in der Provinz, wo wir dort sind, kaum noch Möglichkeiten weiter zu arbeiten, weil es in den anderen Distrikten viel zu gefährlich geworden ist. Die Regierung hat dort ihre Kontrolle viel zu wenig sichergestellt.



domradio.de: Unter welchen Umständen würden Sie denn Ihre Arbeit in Afghanistan wieder aufnehmen?

Neudeck: Wir werden auf jeden Fall eines tun, das ist auch schon angekündigt: Wir werden sicher alle halbe Jahre dorthin gehen, um die Schulen, die wir dort gebaut haben - insgesamt haben wir 30 Schulen, dazu ein Entbindungs-Hospital für Frauen im ländlichen Bereich und zwei Werkstätten gebaut -, zu besuchen und den Kontakt zu ihnen aufrechterhalten, weil die Menschen dort uns sehr gewogen sind und davon auch leben, dass sie mit uns den Kontakt halten. Es gibt auch Schulen in Deutschland, die Interesse haben, diesen Kontakt aufrechtzuerhalten, weil sie für diese Schulen gespendet haben. Das wird auf jeden Fall sowieso geschehen. Es kann natürlich sein, dass sich aufgrund der Tatsache, dass sich in den nächsten Jahren die gesamten westlichen Truppenkontingente dort verziehen, also abziehen, die Situation für den zivilen Wiederaufbau deutlich bessert und diese Regierung endlich begreift, dass sie für ihre Bevölkerung verantwortlich arbeiten muss.



domradio.de: Und was bedeutet das nun aktuell für diese Projekte? Wenn es von der Situation im Land abhängt, kann das ja auch bedeuten, dass Sie unter Umständen diese Kontakte, die Sie gern halten möchten, verlieren.

Neudeck: Doch, es ist möglich, diese Kontakte zu halten. Jeder kann ja weiter nach Afghanistan reisen, es gibt die Möglichkeit eines Visums, es gibt die Möglichkeit, dort frei hinzureisen. Das ist alles möglich, und wir haben dort ja auch keine Schulen gebaut, die dann ganz von uns abhängig wären. Wir haben das immer mit den Dorfgemeinschaften vertraglich so geregelt, dass wir die Gewissheit hatten und haben, dass ausreichend Lehrer vorhanden sind. Ich habe jetzt mindestens 15 Schulen wieder besucht, das ist alles am Netz. Die Mädchen gehen auch überall in die Schulen, es ist auch keine der Schulen bedroht - das werden wir alles versuchen sicherzustellen. Und wir hoffen darauf, dass eben in der Zukunft das Wichtigere geschieht, das viel wichtigere als unsere Arbeit, die ja nur punktuell sein kann, nämlich dass eine nationale Regierung begreift, dass sie für die Bildung, für die Schul- und Berufsausbildung ihrer Bevölkerung sehr vielmehr tun muss und dort ihren Schwerpunkt setzen muss.



domradio.de: Was glauben Sie, was nötig ist, damit diese Regierung das versteht?

Neudeck: Dafür müssen Bedingungen geschaffen werden, das können wir nicht tun. Die Regierungen in Berlin, in Paris, in Europa und Amerika müssen endlich darauf beharren, dass derjenige, der praktisch bisher das gesamte Budget von Afghanistan bezahlt, das der auch Bedingungen stellen kann für die Wollfahrt und Sicherheit und für das Weiterkommen der Bevölkerung. Wir erleben jetzt zum Beispiel die Situation völlig umgedreht zu der von 2001, dass Hunderttausende junger Afghanen wieder in das Nachbarland Iran gehen, aus dem einzigen Grund, weil dort die Wirtschaft läuft und weil dort eben Geld zu verdienen ist und weil diese jungen Menschen von dort aus für ihre Familien entsprechend Geld zurücküberweisen können. Das ist ein völlig unguter Zustand, der mit dem, was wir uns von Afghanistan erwartet haben, überhaupt nicht übereinstimmt.



Das Interview führte Dagmar Peters.



Hintergrund

Der Gründer des Friedenscorps Grünhelme, Rupert Neudeck, hat den Abzug der Hilfsorganisation aus Afghanistan angekündigt. Gleichzeitig übte er in einem Gastbeitrag für den "Kölner Stadtanzeiger" (Donnerstag) erhebliche Kritik an der afghanischen Regierung. Diese schere sich nicht um das Volk und tue nichts für die Entwicklung des Landes. So führten etwa neue Gesetze dazu, dass die Grünhelme nicht nach eigenem Kostenprinzip arbeiten könnten, sondern teurere einheimische Firmen beschäftigen müssten. Ein Schule werde dadurch beispielsweise "zu den doppelten, wenn nicht gar dreifachen Kosten erstellt", so Neudeck.



Eigenständigkeit, Verwaltung und Wirtschaft Afghanistans würden durch ein Weitermachen der Grünhelme nicht gefördert, erklärte der Journalist. Die regierende Elite sei korrupt und halte die Grünhelm-Arbeit sowie deutsche Spendengelder für selbstverständlich.

"Deshalb muss die Regierung die eigenen Steuereinahmen nicht erhöhen und auch nicht die Gewinne aus den Opiumexporten heranziehen", kritisiert der 71-Jährige. "Nichts hat die Regierung getan, um die Wirtschaft anzukurbeln."



Als Beispiel für die erschwerte Arbeit der Grünhelme nennt Neudeck vor allem den Bau von Schulen. Diese würden zwar von den Grünhelmen erstellt. Nach neuen afghanischen Gesetzen dürften Nichtregierungsorganisationen wie dies aber nicht. "Unsere einzige Aufgabe besteht darin, das Geld der deutschen Spender nach Afghanistan zu bringen." Vor Ort sollten dann kostspieligere einheimische Unternehmen weiterarbeiten.



Das Friedenscorps Grünhelme war seit 2003 in Afghanistan. Laut Neudeck wurden in der Zeit 30 Schulen gebaut, die jeweils um die

40.000 Euro gekostet haben. Eine Entbindungs- und OP-Klinik der Grünhelme werde nun von dem Hilfswerk Cap Anamur weitergeführt.