Familienministerin Schröder kündigt Paradigmenwechsel an

Politik gegen die Hektik

Die Bundesregierung will in ihrer Familienpolitik künftig stärker den Faktor Zeit in den Blick nehmen. "Der Wunsch nach mehr Zeit für Familien eint alle Familien und ist noch stärker ausgeprägt als der Wunsch nach mehr Geld", sagte Bundesfamilienministerin Kristina Schröder bei der Übergabe des achten Familienberichts der Bundesregierung. Zeit sei daher die "Leitwährung" der Familienpolitik.

Autor/in:
Volker Resing
 (DR)

Es war eigentlich nur eine gewöhnliche Floskel. Doch diesmal hatte sie eine tiefere Bedeutung. "Vielen Dank für die Zeit, die Sie sich genommen haben", sagte Bundesministerin Kristina Schröder (CDU) am Freitag in Berlin, als sie den 8. Familienbericht vorstellte. Denn Zeit ist knapp geworden, so scheint es. Hektik bestimmt das Leben vieler. Der Zeitdruck sei das größte Problem, das Familien und vor allem berufstätige Eltern belaste, so der Bericht, den der Bonner Arbeitsrechtler Georg Thüsing stellvertretend für die Sachverständigenkommission an die Ministerin übergab.



63 Prozent der Väter sowie 37 Prozent der Mütter mit minderjährigen Kindern geben an, zu wenig Zeit für ihren Nachwuchs zu haben. Regelrecht unter einem Zeitdruck leiden mehr als 40 Prozent der Eltern, stellt der Familienbericht fest. Der Wunsch nach flexibleren Arbeitszeiten und mehr externer Kinderbetreuung ist die logische Konsequenz. Die Familienpolitik stehe vor einem neuen "Paradigmenwechsel", so die Ministerin. "Familienzeitpolitik" sei das neue Motto, nachdem es bisher vor allem um Geld (Kindergeld, Elterngeld) und Infrastruktur (Kita-Ausbau) gegangen sei.



Doch ganz so neu ist das Dilemma nicht. Die neue Familienpolitik, die maßgeblich von Ursula von der Leyen (CDU) in der vergangenen Legislaturperiode umgesetzt wurde, orientiert sich vor allem am Ziel der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die nun beschriebene und beklagte Zeitnot ist auch eine Folge dieses veränderten Familienmodells. Dies beschrieb die Ministerin auch ganz direkt: Früher habe es das Zeitproblem nicht so stark gegeben, weil die Mütter, die zuhause waren, eben mehr Zeit gehabt hätten.



Flexible Arbeitszeitmodelle

Weil also Mutter und Vater beide arbeiten wollen (oder müssen), haben sie weniger Zeit für die Kinder. Nun sollen sie wieder mehr Stunden mit der Familie verbringen können - Dank flexibler Arbeitszeitmodelle. Kommissionssprecher Thüsing lobte in diesem Zusammenhang das deutsche Recht auf einen Teilzeitarbeitsplatz. Die Ministerin aber betonte, es brauche da noch mehr Flexibilität. Nicht nur halbe und volle Stellen werden benötigt, sondern auch andere "Zeitmodelle". Denn offenbar sind die Bedürfnisse sehr unterschiedlich. Nicht nur "mehr Zeit" wird gefragt, sondern genau der richtige Prozentsatz an Zeit für die jeweiligen Lebensbereiche. "Mehr Zeitsouveränität", nennt Schröder das.



Der Gewerkschaftsbund forderte schon eine grundsätzliche "Arbeitszeitdebatte", ein Recht auf "Rückkehr in die Vollzeit" müsse her. Mit gesetzlichen Daumenschrauben will die Ministerin aber zunächst nicht hantieren. Der Familienbericht schreibt nämlich auch fest, dass immer die Bedürfnisse von Arbeitgebern Berücksichtigung finden müssten. Bessere "Zeitsynchronisation" soll Abhilfe schaffen. Hinter dem Begriff der "Zeitumverteilung" steht der Gedanke, die ältere Bevölkerung stärker mit heranzuziehen, die habe nämlich "Zeitreserven".



Wie schwierig das ist mit der Zeit und der Zufriedenheit, das beschreibt der neue Familienbericht anhand der Sicht der Betroffenen selbst. Die 6- bis 11-jährigen Kinder in Deutschland meinen zu zwei Dritteln, dass ihre Väter, und zu einem Drittel, dass ihre Mütter zu wenig Zeit für ihren Nachwuchs haben. Doch die Untersuchung kommt zu einer ganz verblüffenden Feststellung: "Allerdings empfinden Kinder mit zwei nicht erwerbstätigen Elternteilen häufiger als Kinder von Doppelverdiener-Paaren, dass ihre Eltern nicht genügend Zeit für sie aufbringen." Da muss wohl die "Familienzeitpolitik" noch ganz anders ansetzen.