Bibelwissenschaftler Prof. Thomas Söding über sein neues Werk

Der Reichtum der Verkündigung Jesu

Die Verfasser der vier Evangelien waren selbst gläubige Christen - haben sie deshalb das Wirken Jesu verklärt, gar verfälscht wiedergegeben? Was können Christen heute tatsächlich von der Verkündigung Jesu wissen? Darüber hat der Theologe Prof. Thomas Söding ein Buch geschrieben. Er ist Professor für das Neue Testament an der Ruhr-Universität Bochum.

 (DR)

domradio.de: Herr Prof. Söding, heute werden in Ton, Bild und Schrift bedeutende Ereignisse sofort festgehalten. Warum hat es eigentlich einige Jahrzehnte gedauert, bis die vier Evangelien entstanden sind?

Thomas Söding: Ich denke, dass die Erinnerungen sofort losgegangen sind und dass es auch sehr früh erste Notizen gegeben hat. Aber die können wir nicht mehr genau erkennen, wir wissen nur: Ungefähr 40 Jahre nach dem Tod Jesu begann es mit der Abfassung von schriftlichen Werken, von kleinen Büchern über Jesus. Das scheint so ein Zeitabstand zu sein, in dem man eigentlich auch heute anfängt, sich hinzusetzen, eine Chronik zu schreiben, Lebenserinnerungen zu notieren; das scheint hier ganz am Anfang der Jesusgeschichte auch nicht anders gewesen zu sein.



domradio.de: Dass Jesus tatsächlich gelebt hat, bestreitet heutzutage niemand mehr; da gab es ja auch andere Zeiten. Aber wie historisch belastbar sind die Berichte der Evangelisten, wenn es um die Frage der historischen Authentizität geht?

Söding: Da stellt sich natürlich die Frage: Was ist eigentlich historisch authentisch? Wir möchten natürlich gern sehr, sehr viel wissen über die näheren Lebensumstände und über die alltägliche Lebensführung, vielleicht auch wie Jesus genau ausgesehen hat, an diesen Punkten lassen uns die Evangelien im Stich, weil für sie etwas anderes viel wichtiger ist, nämlich dass man die Geschichte des Lebens, der Verkündigung und am Ende auch des Todes Jesu in Verbindung mit Gott bringt. Und an der Stelle sind die Evangelien von unterschiedlichen Standpunkten aus ganz präzise: Jesus kann man nur von seiner Gottesliebe her verstehen, und Gott soll man ganz neu von Jesus her verstehen. Und in Hinblick auf diese Frage und die Antworten sind die Evangelien gemacht, gestaltet, literarisch stilisiert worden, von daher sind sie theologisch aussagekräftig.



domradio.de: In Ihrem Buch versuchen Sie nun herauszufinden, welches Evangelium Jesus verkündet hat. Wie gehen Sie dabei vor?

Söding: Ich meine, dass der Gedanke der Erinnerung an Jesus wesentlich gewesen ist. Die Evangelien verdanken sich letztendlich in einer längeren Geschichte denen, die Jesus Glauben geschenkt haben. Und Jesus ist jemand, der Glauben gefordert hat, der zum Glauben eingeladen hat, Glaube an das Evangelium, Glaube an die Frohe Botschaft, Glaube an Gott, der seine Herrschaft nahekommen lässt - das ist das zentrale Stichwort der Verkündigung Jesu. Und diesen Glauben an Gott, den kann man gar nicht mehr von diesem Jesus und seinem Evangelium trennen. Das ist sozusagen der entscheidende Punkt, und von daher muss man sich jetzt überlegen, an welchen Gesten, an welchen Worten, in welchen Szenen usw. kann man diesen Jesus denn eigentlich besonders gut erkennen. Und das ist für mich die entscheidende Frage, weil ich persönlich denke, dass in der Kirche, aber auch weit über die Kirche hinaus diese Verkündigung Jesu von grundlegender Bedeutung ist und viele Menschen interessiert.



domradio.de: Wie kann man jetzt herausfinden, was das wahre Evangelium Jesu ist?

Söding: Das wahre Evangelium! Jesus hat sich nicht nur mit einer Formel begnügt oder es nicht nur auf einen Satz gebracht, sondern es ist ja eine ganze Welt, die ins Licht Gottes gestellt wird. Ich meine, dass die verschiedenen Evangelien von den unterschiedlichen Ausgangspunkten aus uns die Möglichkeit eröffnen, jetzt tatsächlich zunächst einmal den großen Reichtum der Verkündigung Jesu zu erkennen. Es hat früher etwas puristischere Ansätze gegeben, dass man nur ganz, ganz wenige ureigene Jesusworte herauskristallisiert hat; das ist ein Verfahren, von dem ich persönlich nicht so viel halte, ich glaube, man muss sich auf ehrlich machen. Einen direkten Zugang zu Jesus haben wir nicht mehr, aber Gott sei Dank haben wir gleich vier Evangelien, die man jetzt genau miteinander vergleichen kann. Und an der Stelle beginnt natürlich dann auch einfach die harte Arbeit des Bibelwissenschaftlers: Man muss auf der einen Seite versuchen, ziemlich genau die Entstehungsgeschichte der Evangelien, die Standpunkte der Evangelien zu rekonstruieren, da gibt es ein paar Unsicherheiten, aber auch ein paar diskussionswürdige Punkte, und dann wäre mein Bild, dass die Evangelien wie Spiegel funktionieren, in denen man Jesus erkennen kann, immer aus einem bestimmten Abstand, nie ohne Brechungen und Verfärbungen, aber durch den Vergleich der verschiedenen Evangelien und ihrer Vorgeschichte, soweit man die erkennen kann, kommt man doch erstaunlich nah an Jesus ’ran. Und das ist das eigentlich Entscheidende, dass wir über diesen Jesus so viel wissen können, so viel, dass man eben auch kritisch sein muss, was geht jetzt hier auf Jesus selbst zurück, was ist im Laufe der Zeit gewachsen. Absolute Sicherheit wird es da nicht geben, aber in diese Prozesse muss man ’reinkommen.



domradio.de: Wenn sich der Leser Ihr Buch nun genau angeschaut hat, das ist ja ein umfangreiches Werk, was soll er dann am Ende aus diesem Buch mitnehmen?

Söding: Ich meine, dass man erkennen kann: Jesus hat eine wirkliche Botschaft gehabt. Und diese Botschaft besteht vielleicht, in meinen Worten formuliert, darin, dass Gott den Menschen unendlich nahe kommt. Das gilt in erster Linie für Jesus selbst, Jesus ist derjenige, der sozusagen Gott präsentiert, der durchsichtig ist für Gott, der von Gott her die Menschen anspricht auf ihre Hoffnung hin. Und wenn man glauben kann, das Gott den Menschen so unendlich nahe kommt, wie Jesus den Menschen nahe gekommen ist, dann verändert sich natürlich sehr, sehr viel: das Selbstbild, das Menschenbild, das Bild der anderen, das Bild der Hoffnung und der Zukunft. Und da würde ich sagen: Das Evangelium Jesu ist von einer Art, dass man immer sagen kann: Das Beste kommt noch!



Das Interview führte Mathias Peter.



Buchhinweis

Söding, Thomas

Die Verkündigung Jesu - Ereignis und Erinnerung



Die Evangelien sind nach Ostern und vom Standpunkt des Glaubens aus geschrieben worden. Ist deshalb ihr Bild Jesu verklärt, verzerrt und verfälscht? Oder sind sie durch den zeitlichen Abstand und durch das Christusbekenntnis erst in die Lage versetzt worden, Jesus in lebendiger Verbindung mit Gott zu sehen, der seine Herrschaft nahebringt und die Toten auferweckt? An den Gleichnissen und den Seligpreisungen, den Wundern und den Berufungsgeschichten zeichnen sich im Spiegel der Evangelien die Konturen der Verkündigung Jesu ab - nicht unabhängig von der Erinnerung derjenigen, die ihm nachgefolgt sind, aber so, dass das Ereignis deutlich wird, das Jesus von Nazareth selbst ist.



Verlag Herder --
Aufl./Jahr: 1. Aufl. 2011

Format: 13,5 x 21,5 cm, 680 Seiten, Gebunden mit Schutzumschlag

ISBN 978-3-451-34120-5

€ 39,95--