Der künftige Weg Libyens ist ungewiss

Vom Regen in die Traufe?

Nach der Freude über das Ende des Regimes in Libyen wächst bei den Christen die Sorge. Der Chef des Übergangsrates hatte erklärt, die Scharia werde die Grundlage des künftigen Rechtssystems bilden. Was ist davon zu halten? Markus Rode von Open Doors im domradio.de-Interview.

 (DR)

domradio.de: Eine "islamische Demokratie", die sich nach dem islamischen Recht richtet - wie würde die aussehen?

Markus Rohde: Eigentlich hört sich das ganz schön an, da das Wort Demokratie darin vorkommt. Aber wenn man tatsächlich die Scharia, das islamische Recht, in Libyen einführt, was ja jetzt doch zu 100% feststeht, dann heißt das, dass es letztendlich kein Recht auf Religionsfreiheit mehr geben wird - grundsätzlich nicht. Und das kann sogar so weit gehen - und das ist eben auch das, was der Vorsitzende des Übergangsrates Dschalil gestern gesagt hat: Ein Gesetz, das dem islamischen Gesetz widerspricht, ist null und nichtig   dass bedeutet, sogar wenn ein Muslim in Libyen sich für den christlichen Glauben entscheidet, dann kann er getötet werden. Denn in Sure 4, 89: Wenn jemand sich abwendet und Eurer Aufforderung, zum Islam zurückzukehren, kein Gehör schenkt, dann greift ihn, tötet ihn, wo immer Ihr ihn findet. Und das ist ja auch sehr deutlich zum Ausdruck gekommen in den Äußerungen von Dschalil, der sagt: Alles andere als das islamische Gesetz ist null und nichtig.



domradio.de: Sollte das tatsächlich Wirklichkeit werden, was würde das für die Zukunft der Christen im Land bedeuten?

Rohde: Hier muss man sagen , dass die Zukunft der Christen nicht zwangsläufig von dem islamischen Gesetz abhängt, denn die Christen selbst   und das sind hauptsächlich ausländische Christen - haben das Land bereits verlassen. Von den ungefähr 172.000 Christen sind 75% in den Kriegswirren schon aus Libyen geflohen. Wir sprechen hier von 150 Christen muslimischen Hintergrunds - und die sind sowieso schon in den Untergrund abgetaucht - das heißt, die wissen sehr genau, was es bedeutet, in einem islamischen Land als Christ leben zu müssen. Sie haben sich ja entschieden, Christ zu sein, sie wissen, wie hoch der Preis sein kann, den sie dafür zahlen müssen.



domradio.de: Wie hilft Open Doors  -  Kann Ihre Organisation im Moment überhaupt den Christen in Libyen helfen?

Rohde: Ich glaube, das Wichtigste ist, dass wir ganz besonders auch als christliche Organisation - und wir sind in vielen christlichen Kirchen als überkonfessionelles Hilfswerk unterwegs  , erst einmal auf die Situation der Christen aufmerksam machen und dass wir dann versuchen - und wir sind ja in Kontakt mit den Christen vor Ort  , zu fragen: Wie können wir Euch in Eurer Situation jetzt helfen? Das ist natürlich eine sehr schwierige Frage, die Christen vor Ort selbst sagen: Bitte betet für uns, das ist das Wichtigste. Das ist ein Appell an alle Christen in der freien Welt. Darüber hinaus ist es natürlich auch wichtig, dass Politiker aus dem Westen, die das Land besuchen, sehr deutlich machen, wie wichtig ihnen der Schutz der Christen im Land ist. Man muss jetzt auf verschiedenen Wegen dafür Sorge tragen, dass die Christen - und auch die Christen muslimischen Hintergrunds - in den momentan im Übergangsrat herrschenden Wirren nicht vergessen werden.



Das Interview führte Pia Klinkhammer.



Hintergrund

Der Chef des Übergangsrates in Libyen, Abdel Dschalil, hatte am erklärt, die Scharia werde die Grundlage des künftigen Rechtssystems bilden. Jedes Gesetz, das gegen die strengen islamischen Vorgaben der Scharia verstoße, sei nicht mehr rechtskräftig. Zudem solle ein Bankensystem nach islamischem Recht eingeführt werden. Libyer seien allerdings moderate Muslime, beteuerte Dschalil.



Der katholische Bischof von Tripolis, Giovanni Martinelli, hat das Vorgehen der Nato in Libyen heftig kritisiert. "Wie kann es sein, dass zivilisierte westliche Länder Waffengewalt brauchen, um einen Diktator zu stürzen?", fragte er mit Verweis auf zahlreiche zivile Opfer in einem am Dienstag veröffentlichten Interview der Tageszeitung "Die Welt". Mit Bomben könne man keine Probleme lösen. "Das ständige Bombardement war schrecklich."



Der Bischof zeigte sich zugleich zuversichtlich, dass Libyen derzeit keine neue Diktatur droht. "Jetzt, in dieser Euphorie, ist das unmöglich", sagte er. Indirekt zeigte Martinelli Verständnis für die Tötung Gaddafis. "Was da getan wurde, ist gegen den normalen Verhaltenskodex. Aber die jungen Kämpfer waren zornig", sagte er unter Verweis auf die Brutalität des Krieges. Er wolle weder über sie richten noch sie entschuldigen. "Wir verstehen jedoch ihre Sensibilitäten."



Zur Situation der Christen sagte der 69-jährige Franziskaner, die Kirche habe sich über Gaddafi nicht beklagen können. "Er hat unsere Religion respektiert, uns alles gegeben und erlaubt, was wir wollten", sagte der Bischof. Auch jetzt seien die Christen voll akzeptiert und respektiert. Vor dem Krieg haben nach Darstellung Martinellis mehr als 100.000 Christen in Libyen gelebt, die meisten aus den Philippinen und Schwarzafrika sowie aus Polen stammend.

"Langsam kehren sie jetzt zurück", betonte Martinelli.



Zur Persönlichkeit Gaddafis sagte der Bischof, der Diktator habe versucht, Libyen das Konzept seines Grünen Buches aufzuzwingen. "Er war ein Demagoge, der dachte, er sei ein Prophet, den Gott zum Grünen Buch inspiriert habe." Seine größte Leidenschaft sei die Macht gewesen. Martinelli bezeichnete Gaddafi zudem als größenwahnsinnigen und paranoiden Staatsmann.