EU-Bedürftigenhilfe stößt auf erbitterten Widerstand Berlins

Streit ums Prinzip

Hunderte von Milliarden für Rettungsschirme, aber kein Geld für die Ärmsten der Armen: Zwar ist noch keine endgültige Entscheidung gefallen, aber seit Monaten scheitert die Fortsetzung eines EU-Hilfsprogramms für Bedürftige am Widerstand aus Berlin und aus fünf anderen EU-Hauptstädten.

Autor/in:
Christoph Lennert
 (DR)

Auch das EU-Agrarministertreffen am Donnerstag in Luxemburg brachte keine Einigung. Heftige Kritik am Freitag war die Folge. Um das Programm zu beschließen, bräuchte es eine qualifizierte Mehrheit bei den Ministern. Deutschland - gemeinsam mit Großbritannien, Schweden, den Niederlanden, Tschechien und Dänemark - lehnt das Hilfsprogramm aber ab. Die sechs Staaten verfügen bei der EU gemeinsam über genug Stimmen, um die nötige Mehrheit zu verhindern - auch wenn die 21 anderen EU-Staaten ebenso dafür sind wie das Europaparlament.



"Egoismus" warf Frankreichs Landwirtschaftsminister Bruno Le Maire nach Angaben des französischen Rundunksenders "Europe1" vom Freitag deshalb den sechs widerständigen EU-Staaten vor. EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos sprach von einem der schwärzesten Tage seines politischen Lebens. Für die polnische EU-Präsidentschaft schloss Landwirtschaftsminister Marek Sawicki nicht aus, dass die Staats- und Regierungschefs am Sonntag bei ihrem Gipfel in Brüssel mit dem Thema befasst werden könnten. Dass angesichts der Griechenlandkrise und Rettungsschirm-Debatten dort intensiv über die Bedürftigenhilfe beraten wird, bewerten Beobachter als extrem unwahrscheinlich.



"Deutschland bleibt bei seiner bisherigen Haltung: Ablehnung"

In der Debatte in Luxemburg ergriff Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) nur sehr kurz das Wort. "Deutschland bleibt bei seiner bisherigen Haltung: Ablehnung", sagte sie. Vor Beginn der Sitzung hatte Aigner vor Journalisten bereits den Grund erläutert: Sozialpolitik sei nicht Sache der EU, sondern falle in die Kompetenz der einzelnen Mitgliedstaaten. "Wir wollen keine Sozialpolitik auf europäischer Ebene", so Aigner. Berlin geht es ums Prinzip.



Die EU-Nahrungsmittelhilfe für Bedürftige gibt es seit 1987. Nach einem extrem harten Winter wurde damals beschlossen, überschüssige Erzeugnisse aus der landwirtschaftlichen Produktion zu verteilen. Die sprichwörtlichen Butterberge und Milchseen wurden an Lebensmittelbanken verteilt oder auf anderen Wegen an Bedürftige gebracht. Als seit Mitte der 90er die Butterberge abgeschmolzen und die Milchseen ausgetrocknet waren, wurden EU-Haushaltsmittel für den Ankauf von Nahrungsmitteln eingesetzt. Zuletzt war das immerhin eine halbe Milliarde Euro pro Jahr.



Empfänger der EU-Hilfe waren nach Kommissions-Angaben in den vergangenen Jahren rund 18 Millionen Bedürftige. Die EU-Nahrungsmittelhilfe ging vor allem nach Italien, Spanien und Frankreich sowie Polen und Rumänien. In vielen Staaten ist das Programm ein wichtiges Finanzierungsmittel für Lebensmittelbanken, bei denen sich Bedürftige versorgen können.



EU durch die Hintertür?

Deutschland klagte aber dagegen, dass sich die EU quasi durch die Hintertür der Agrarpolitik auf einmal Kompetenzen in der Sozialpolitik verschaffte. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg gab Berlin im April auch Recht. Nur Überschussprodukte der europäischen Landwirtschaft dürften für die Hilfe verwendet werden.



Die EU-Kommission versuchte seither, das Programm zu retten. EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos schlug zum Schluss vor, eine Übergangslösung für die Jahre 2012 und 2013 zu finden, um über die Zukunft des Programms ab 2014 dann bei den EU-Sozialministern zu beraten. Damit sollte klar werden, dass es sich tatsächlich künftig um eine Sozialinitiative der EU handeln sollte und nicht länger um einen Teil der Agrarpolitik.



Österreich etwa, das wie Deutschland auch nicht zu den Empfängern der Hilfe gehört, zeigte sich für diese Argumentation empfänglicher als Berlin. Landwirtschaftsminister Niki Berlakovich stimmte in Luxemburg der Übergangsregelung zu. Für so viel Kompromissbereitschaft war Aigner dagegen nicht zu haben.