Neue Herausforderungen für Hochschulgemeinden

Überlaufene Universitäten

Doppelte Abiturjahrgänge und das Ende der Wehrpflicht: die Zahl der Erstsemester steigt. Auch in Nordrhein-Westfalen ist die Lage dramatisch. Im domradio.de-Interview erläutert der Hochschulpfarrer von Düsseldorf, Jürgen Hünten, wie die Hochschulgemeinden der Herausforderung begegnen.

 (DR)

domradio.de: 20.000, das sind so viele wie vor der Abschaffung der Lehramtsstudiengänge an der Uni Düsseldorf. Wie beobachten Sie die Situation derzeit in den Hörsälen?

Pfarrer Jürgen Hünten: Die Hörsäle sind relativ voll, das ist allerdings ein Phänomen, das sehr häufig zu Semesterbeginn anzutreffen ist. Im Normalfall pendelt sich das ein wenig ein. Ich vermute allerdings, dass das in diesem Jahr schon etwas länger dauern dürfte, bis die Universität darauf reagieren kann.



domradio.de: Und was heißt das jetzt? Stehen da Trauben vor den Eingangstüren und die Leute kommen schon eine Stunde früher, oder wie muss man sich das vorstellen?

Hünten: Das wird ganz unterschiedlich gehandhabt: Einige stehen wirklich schon eine ganze Zeit vorher dort und hoffen auf einen Platz. Es wird jetzt überlegt, in manchen größeren Hörsälen vielleicht mit einer Außenübertragung das Problem zu beseitigen. Es ist sehr schwierig, weil einige Studierende unzufrieden sind, da beispielsweise natürlich auch nur begrenzte Seminarplätze zur Verfügung stehen. Da gibt es 40 Plätze und es stehen jetzt 70 Erstsemester vor der Tür, die natürlich auch bedient werden wollen.



domradio.de: Als Hochschulpfarrer sind Sie ja einer der Ansprechpartner für die Studenten. Sind die frustriert, böse oder eher gelassen?

Hünten: Das ist ganz unterschiedlich: Einige hoffen einfach, dass ich dieses Problem soweit es geht weitergeben kann. Ich habe den Eindruck, dass viele Studenten sehr, sehr ungeduldig sind. Wir dürfen nicht vergessen: Da sind jetzt auch die ersten G8-Jahrgänge darunter, sehr viele sehr junge Studenten und manchmal fehlt da vielleicht ein bisschen Gelassenheit.



domradio.de: Die müssen das vielleicht erst noch lernen, sich selbst zurechtzufinden. Sie haben eben schon gesagt: Man überlegt jetzt vielleicht eine Außenübertragung von Vorlesungen. Was schätzen Sie, wie lange das dauern, bis sich alles eingespielt hat?

Hünten: Nach meiner Erfahrung - ich bin jetzt im sechsten Jahr in Düsseldorf - dauert das eigentlich immer so bis Ende November, bis sich alles geklärt hat.



domradio.de: Neben den vollen Hörsälen gibt es ja auch noch das Problem der Wohnungsnot. Unterstützen Sie als katholische Hochschulgemeinde (KHG) die Studenten bei der Wohnungssuche?

Hünten: So weit das möglich ist. Leider ist ja im Zuge von "Zukunft heute’ auch in Düsseldorf unser kleines Wohnheim mit 7 Plätzen geschlossen worden, so dass wir jetzt gar nicht mehr aktiv eingreifen können. Wir haben allerdings bei uns wie an den anderen Hochschulorten bestimmt auch einen Aushang für Zimmergesuche und -angebote. Es rufen immer wieder auch Privatvermieter bei uns an, weil sie meinen, bei der Kirche gibt es solide Mieter und Mieterinnen. Und wenn wir da etwas vermitteln können, dann tun wir das auch gern.



domradio.de: Also eine Art Schwarzes Brett oder wie muss man sich das vorstellen?

Hünten: Könnte man so sagen.



domradio.de: Haben Sie als Seelsorger jetzt denn einen Tipp, wie die Erstsemester, für die ja sowieso alles neu ist, mit dieser extremen Situation umgehen könnten?

Hünten: Ich glaube, zwei Dinge müssten berücksichtigt werden: Erstens ist es wichtig, ganz schnell Anschluss im Semester zu finden, gemeinsam lässt sich vieles besser ertragen. Wichtig ist es auch, sich an die Fachschaft zu wenden, vielleicht auch mal mit höheren Semestern zu sprechen, mit Leuten, die schon länger in der Stadt wohnen, die kennen manchmal auch die ein oder andere Hintertür, wie Probleme beseitigt werden können.



domradio.de: Kontaktsuche ist hier also das Mittel der Wahl?

Hünten: Zum Beispiel über die KHG.



Das Interview führte Heike Sicconi.



Hintergrund

Die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen erwarten im Studienjahr 2011 insgesamt etwa 115.000 Studienanfänger. Das sind 18.000 oder 18 Prozent mehr als im vergangenen Studienjahr. Gründe sind die Aussetzung der Wehrpflicht, der doppelte Abiturjahrgang und die Abschaffung der Studienbeiträge. Für wie viele Studienanfänger an Rhein und Ruhr der Wegfall der Studiengebühren Anlass für die Aufnahme eines Studiums war, ist nicht bekannt.