Bundestag macht den Weg frei für die Familienpflegezeit

Kein Rechtsanspruch

Der Bundestag hat den Weg freigemacht für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Pflege. Am Donnerstag beschloss das Parlament mit den Stimmen der Regierungskoalition das Gesetz zur Einführung der Familienpflegezeit. Sie ermöglicht Berufstätigen, bis zu zwei Jahre lang ihre Arbeitszeit zu reduzieren, um Angehörige zu Hause pflegen zu können. Die Caritas bemängelt allerdings einen fehlenden Rechtsanspruch.

 (DR)

Das Gesetz bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrats und kann somit zum 1. Januar 2012 in Kraft treten. Den von Opposition und Sozialverbänden geforderten Rechtsanspruch auf eine Pflegezeit wird es jedoch nicht geben. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) sagte: "Es ist ein innovatives Modell, das die Bürger entlastet und die Sozialsysteme nicht belastet." Mittlerweile hätten bereits zahlreiche Unternehmen angekündigt, die Familienpflegezeit anzubieten. "Das ist kostengünstiger, als gute Mitarbeiter gehen lassen zu müssen, weil diese sich um Angehörige kümmern wollen", betonte Schröder.



Die Familienpflegezeit sieht vor, dass Beschäftigte ihre Arbeitszeit maximal zwei Jahre lang auf bis zu 15 Stunden reduzieren können, wenn sie einen Angehörigen pflegen. Wird beispielsweise die Arbeitszeit in der Pflegephase von 100 auf 50 Prozent reduziert, erhalten die Beschäftigten weiterhin 75 Prozent des letzten Bruttoeinkommens. Zum Ausgleich müssen sie später wieder voll arbeiten, bekommen aber weiterhin nur 75 Prozent des Gehalts - so lange, bis das Zeitkonto wieder ausgeglichen ist. Um die finanziellen Risiken für die Arbeitgeber zu minimieren, muss jeder Beschäftigte, der die Familienpflegezeit in Anspruch nimmt, eine

Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsversicherung abschließen. Für die Lohnvorauszahlungen während der Pflegephase erhalten die Unternehmen ein zinsloses Darlehen.



Derzeit werden rund 1,6 Millionen Pflegebedürftigen zu Hause von Angehörigen oder ambulanten Diensten versorgt. Das sind mehr als zwei Drittel aller Betroffenen.



Kritik von Opposition und Caritas

"Ohne einen Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit sind pflegende Angehörige nach wie vor auf das Entgegenkommen ihres Arbeitsgebers angewiesen. Daher hat das Gesetz nur eine geringe Reichweite und wird der Realität pflegender Angehöriger nicht gerecht", kritisiert der Präsident des Deutschen Caritasverbandes (DCV) Peter Neher. Das Gesetz sehe zudem einen erheblichen bürokratischen Aufwand für die Arbeitgeber vor und eine zu geringe Flexibilität für die betroffenen Angehörigen. "Dies wird dazu führen, dass die Akzeptanz auf beiden Seiten gering sein wird. Obwohl das Gesetz durchaus Optionen für die Betroffenen bietet, werden voraussichtlich nur wenige davon Gebrauch machen", befürchtet Neher.



Kritisch bewertet der DCV auch die ungleiche Verteilung der finanziellen Lasten: Die finanziellen Lasten, die sich aus der Absicherung der Risiken einer Lohnvorauszahlung durch eine neu abzuschließende Versicherung ergeben, müssten die Beschäftigten alleine tragen. Angesichts der demografischen Entwicklung und der nach wie vor hohen Bereitschaft vieler Menschen, die Pflege naher Angehöriger zu übernehmen, seien Gesetze erforderlich, die rechtsverbindlich, mit einer fairen Verteilung der Lasten und einer flexiblen Gestaltungsfreiheit den Pflege-Alltag erleichtern.--
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Die familienpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Caren Marks, kritisierte, das Gesetz mache "Pflege zur Privatsache, die komplett über den Lohnverzicht der Arbeitnehmer finanziert wird". Pflege dürfe nicht aus der Verantwortung der Gesellschaft genommen werden.



Die pflegepolitische Sprecherin der Linksfraktion, Katrin Senger-Schäfer, nannte das Gesetz nicht realistisch, da es faktisch alle Geringverdiener ausschließe. Diese könnten keine Lohneinbußen verkraften, wenn sie Angehörige pflegen möchten. Senger-Schäfer forderte stattdessen eine sechswöchige bezahlte Pflegezeit, innerhalb derer Berufstätige die professionelle Pflege für ihre Angehörigen organisieren könnten.



Auch Grünen-Sprecherin für Pflege- und Altenpolitik, Elisabeth Scharfenberg, kritisierte den fehlenden Rechtsanspruch für das Gesetz: "Es ist naiv zu glauben, dass Arbeitgeber nun scharenweise die Familienpflegezeit anbieten." Ursprünglich hatte Schröder einen Rechtsanspruch vorgesehen, diesen jedoch auf Druck des Koalitionspartners FDP aus dem Gesetzentwurf streichen müssen.



Der Rechtsexperte der Unionsfraktion, Norbert Geis (CSU), verteidigte die freiwillige Selbstverpflichtung der Arbeitgeber gegenüber dem Rechtsanspruch. Wenn ein Arbeitnehmer die Pflegezeit per Gericht erzwingen würde, vergifte dies die Atmosphäre im Betrieb. Ebenso betonte die familienpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Miriam Gruß (FDP), dass Unternehmen ohne Druck eher bereit seien, Arbeitsnehmern die Familienpflegezeit zu ermöglichen.