Amerikas Elite-Uni wird 375 Jahre alt

Das Vermächtnis des John Harvard

Es war eine kleine Sensation: Harvard ist nicht mehr die beste Universität der Welt - zumindest laut dem renommierten Ranking eines britischen Magazins. Dass Amerikas Elite-Hochschule überhaupt mal um diesen Titel kämpfen würde, war nicht abzusehen, als ein frommer Prediger den Grundstein legte.

Autor/in:
Ronald Gerste
 (DR)

Der puritanische Prediger hätte sich kaum vorstellen können, dass sein Name vielen nachfolgenden Generationen nicht nur vertraut sein, sondern auch stets mit Ehrfurcht ausgesprochen werden würde. Denn er hatte nichts Epochaleres getan, als sein Testament zu machen. Dass er bei dessen Abfassung noch keine 30 Jahre alt war, spricht Bände über die Zeitumstände: Der Geistliche lebte in der noch jungen englischen Kolonie Massachusetts, die, kaum der Wildnis und den einheimischen Indianern entrungen, alles andere als ein Platz war, an dem man in Ruhe alt werden konnte.



Seinen weltlichen Besitz in Höhe von fast 800 Pfund und, wichtiger noch, seine rund 400 Bücher hinterließ der Prediger einer noch sehr rudimentären höheren Bildungsanstalt, der ersten ihrer Art in Nordamerika, befürchtend, dass "die Kirche sonst von illiteraten Hirten" geleitet würde. Kaum hatte er sein Siegel unter das Testament gesetzt, starb der Gönner im September 1638. Sein Name:

John Harvard.



Die kleine, nur aus einem Holzhaus bestehende Lehranstalt, die im Oktober 1636 gegründet wurde und "New College" hieß, änderte bald darauf ihren Namen, zu Ehren jenes Förderers des Wissens. Sie wurde zum Harvard College und schließlich zur Harvard University - die heute zu den berühmtesten und angesehensten Hochschulen der Welt zählt.



Gedenkfeiern beginnen

Zum 375-jährigen Bestehen gedenkt die Harvard-Universität einer langen und wahrhaft kometenhaften Karriere. In den USA gibt es heute insgesamt rund 1.500 Colleges und Universities; und auch wenn in dem einen oder anderen Ranking je nach Fachbereich hier Princeton oder Yale, dort Stanford oder das benachbarte MIT auf Platz eins liegen mögen, so ist Harvard doch ungebrochen das Symbol für Bildung und Wissenschaft auf höchsten Niveau.



Auch mit dem Terminus "Elite" ist die Hochschule verbunden - und wird deswegen immer wieder auch im politischen Alltagsgeschäft zur Zielscheibe von Populisten, die gegen die Werte von Harvard und seiner neuenglischen Heimat, einem Hort des amerikanischen Liberalismus, auf Stimmenfang gehen. Das wird auch in den knapp 14 Monate bis zur nächsten Präsidentschaftswahl so sein.



Da in Harvard einst auch ein junger Mann namens Barack Obama studierte (und erster farbiger Herausgeber der hiesigen juristischen Fachzeitschrift wurde), liegt die Universität ebenso wie ihr berühmter Absolvent im Fadenkreuz konservativer Politiker - die durchweg an wesentlich schlechteren Universität studierten, so dass zur Ideologie vielleicht auch eine Neid-Komponente kommt. Obama befindet sich übrigens in angemessener Gesellschaft: Zu den Absolventen gehören unter anderen der zweite US-Präsident, John Adams, sowie Franklin D. Roosevelt und John F. Kennedy.



Die Jubiläumsfeiern begannen in dieser Woche. Doch anders als zum 350-Jährigen vor einem Vierteljahrhundert, als Prinz Charles die Festrede hielt, ist in diesen schwierigen Zeiten vergleichsweise Understatement angesagt. Es gibt Aufführungen und Festreden sowie einen gigantischen Geburtstagskuchen, an dessen Verzehr sich 4.000 Personen beteiligen können.



Zurückgehende Spenden

Die wirtschaftliche Depression geht nicht einmal an dieser Lieblings-Uni der Schlauen, Reichen und Mächtigen vorbei. Seit 2008 sind die Spenden und Stiftungen - auf deren reichliches Fließen Harvard neben der für europäische Verhältnisse astronomischen Studiengebühr von durchschnittlich 34.000 Dollar (Tageskurs 25.000 Euro) pro Jahr angewiesen ist - um rund 30 Prozent zurückgegangen.



An John Harvard schreiten oder laufen, je nach Wissensdurst, heute täglich unzählige Studenten und zahlreiche, oft mit Nobel- und anderen Preisen bedachte Professoren vorbei. Bildhauer Daniel Chester French hat eine Statue des sitzenden Predigers geschaffen, die vor einem der zentralen Gebäude auf dem Campus steht. Der linke Fuß mit dem Schnallenschuh nach der Couture der 1630er Jahre ist blank gewetzt von Tausenden Händen - soll die Berührung doch Glück bringen. Ob der Mann tatsächlich so ausgesehen hat, bleibt spekulativ. John Harvard hinterließ kein Bildnis - sondern einen Grundstock für Lernen und Wissen, Fragen und Experimentieren.