Islands katholischer Bischof über das Gastland der Buchmesse

Ohne Zweifel Weltliteratur

Die Buchmesse in Frankfurt gilt als größte Veranstaltung der Literaturbranche, heute wurde sie eröffnet. Der Schweizer Peter Bürcher ist seit 2007 als Bischof von Reykjavik für die rund 10.000 Katholiken in Island verantwortlich. Ein Gespräch mit ihm über den Ehrengast der Buchmesse.

 (DR)

KNA: Herr Bischof Bürcher, was verbinden Sie mit Island?

Bürcher: Natürlich zuerst meinen bischöflichen Dienst! Davon abgesehen ist ein Merkmal sicher die grandiose Natur - die zugleich den Menschen immer wieder die eigenen Grenzen vor Augen führt. Vor wenigen Monaten hat beispielsweise Schmelzwasser von einem sogenannten Hotspot unter einem Gletscher eine Brücke im Süden zum Einsturz gebracht. Und weil sie zur einzigen Straße dort gehörte, war der Verkehr wochenlang gestört. Wer Pech hatte, musste in dieser Zeit einfach kehrtmachen und einen Umweg von fast 1.000 Kilometern fahren.



KNA: Sind die allgegenwärtigen Naturgewalten auch ein Grund für den in Island angeblich immer noch verbreiteten Glauben an übernatürliche Wesen wie Elfen und Feen?

Bürcher: Das sollte man nicht überbewerten. Aber in der Tat wird dieses Erbe in zahlreichen volkstümlichen Geschichten bewahrt, deren Wurzeln weit in die Vergangenheit zurückreichen. Als die ersten christlichen Missionare vermutlich von Irland aus nach Island kamen, sahen sie sich einer Kultur gegenüber, deren naturreligiöse Vorstellungen sehr komplex waren. Diese Vorstellungen verdampften auch nach Annahme des christlichen Glaubens im Jahr 1000 sicher nicht über Nacht.



KNA: Das zeigt auch ein Blick in die mittelalterliche Literatur des 12. bis 14. Jahrhunderts...

Bürcher: ... die zweifellos den Begriff Weltliteratur verdient. Da wären etwa die Heiligenlegenden und frühen Bibelübersetzungen zu nennen, zum anderen die historischen Berichte über die skandinavischen Könige oder die Ereignisse in Island nach der mythologisch verklärten Landnahme durch die Wikinger um 874. Hinzu kommen die zahlreichen alten Lieder germanischen Ursprungs, die nur in Island niedergeschrieben wurden, und in den großen Sagas wie zum Beispiel der Njals Saga, der Egils Saga und der Laxaela Saga kulminieren. Die meisten Isländer können diese Texte übrigens immer noch ohne große Schwierigkeiten lesen, so wenig hat sich die Schriftsprache seither geändert.



KNA: Warum ging die literarische Produktion in der nachfolgenden Zeit zurück?

Bürcher: Die "dunklen" Jahrhunderte waren eine Phase großer wirtschaftlicher Not, auch bedingt durch Pest, Naturkatastrophen und die relative Abgeschiedenheit des Landes - ich vermute einfach, dass die Menschen damals anderes zu tun hatten, als Geschichten zu schreiben.



KNA: Auch in jüngster Vergangenheit gab es große wirtschaftliche Probleme. Island war einer der ersten Staaten, die von der globalen Finanzkrise erfasst wurden. Schlägt sich das in der aktuellen Poesie oder Prosa nieder?

Bürcher: Sehr viele Isländer haben mit zum Teil ungeheuerlichen finanziellen Schwierigkeiten kämpfen müssen, und ein Ende ist für viele noch nicht absehbar. Dies alles hat die Menschen dazu gezwungen, einen neuen Kurs einzuschlagen. Der Glauben an das große Geld hat nachgelassen. Man besinnt sich inzwischen wieder etwas mehr auf Familie und bleibende Werte. In einigen neueren Romanen sind die Hauptpersonen dunkle Gestalten aus der Finanzwelt. Das ist aber kein ausschließlich isländischer Trend, und es ist fraglich, ob darin eine Sinnsuche zum Ausdruck kommt. Aber vielleicht zeigt sich darin doch die Hoffnung auf eine "neue" Gesellschaft, die eines Tages aus diesen Turbulenzen entstehen wird.



KNA: Zum Abschluss eine persönliche Frage: Welches Buch würden Sie dem Island-Reisenden als Einstiegslektüre empfehlen, um Land und Leute kennenzulernen?

Bürcher: Na, zuerst einmal einen guten Reiseführer! Was die Literatur betrifft, rate ich zu den großen Romanen von Nobelpreisträger Halldor Laxness. Er hat auf meisterliche Weise den Konflikt zwischen der Bauerngesellschaft und der armen Bevölkerung der Städte in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts geschildert. Und nicht zu vergessen: Jon Stefan Sveinsson, ein Jesuit, der dank seiner "Nonni"-Bücher einer der in Deutschland bekanntesten isländischen Schriftsteller ist. Viele Islandreisende berichten, dass sie durch diese Bücher wahre Fans der Insel geworden sind.



Das Gespräch führte Joachim Heinz.